Prager Parlament verknüpft EU-Reformvertrag mit Benes-Dekreten

18.02.2009 17:55

Prag (dpa) - Der EU-Reformvertrag hat in Tschechien eine wichtige
parlamentarische Hürde genommen. Eineinhalb Monate nach Beginn der
tschechischen EU-Ratspräsidentschaft stimmte das Abgeordnetenhaus am
Mittwoch nach kontroversen Debatten dem Reformvertrag zu. Nun muss
noch der Senat zustimmen, was allerdings frühstens im April erwartet
wird. Der europa-kritische Präsident Vaclav Klaus will das Dokument
erst unterzeichnen, wenn Irland dem Vertrag zustimmt, den die
dortige Bevölkerung im Vorjahr in einem Referendum abgelehnt hatte.

Außerdem hat das Parlament die Zustimmung zu den Lissabon-
Verträgen mit einem Bekenntnis zu den umstrittenen Benes-Dekreten
verknüpft. Einige der mehr als 140 Benes-Dekrete besagen, dass die
Enteignung von unter anderem Millionen von Sudetendeutschen nach dem
Zweiten Weltkrieg unumkehrbar ist. Die wurden zwischen 1940 und 1945
vom tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes erlassen. Sie
gehören zu den umstrittensten Rechtsakten in Europa. Das
Abgeordnetenhaus in Prag stimmte mit nur einer Gegenstimme für die
Verknüpfung. Die Parlamentarier befürchten, dass die Lissabon-
Verträge ansonsten die Benes-Dekrete aushebeln könnten und
Hinterbliebene von Sudetendeutschen ihr verstaatlichtes Eigentum
einfordern könnten.

125 Abgeordnete stimmten für den Lissabonner Vertrag, 61 dagegen.
120 Stimmen in der 200 Sitze umfassenden Kammer waren für die Annahme
erforderlich. Staatspräsident Klaus erklärte in einer ersten
Reaktion, er hoffe, dass der Senat sich des Themas mit «größerer
Verantwortung» annehmen werde. Der Senat sollte ursprünglich im April
über das Reformwerk abstimmen, doch wurde in Prag eine Verschiebung
nicht ausgeschlossen.

Tschechiens Ministerpräsident Mirek Topolanek hatte im Vorfeld
stets eine baldige Zustimmung seines Landes zum Lissabon-Vertrag
angekündigt, den die beiden Parlamentskammern schon seit April 2008
behandeln. Er bezeichnete das Abkommen als notwendiges Übel. In
seiner Bürgerpartei (ODS) gibt es starken Widerstand gegen den
Reformvertrag. Die Kritiker lehnen eine größere Verflechtung mit der
EU ab.

Seit der turnusmäßigen Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft
befinden sich tschechische Diplomaten und Politiker in einer
schwierigen Situation. So müssen sie im Auftrag Brüssels mit Irland
über eine Annahme des Lissabonner Vertrags verhandeln - und dies
obwohl Tschechien selbst das Abkommen noch nicht gebilligt hat. Die
Iren sollen bis spätestens Oktober in einem zweiten Referendum
über den Vertrag abstimmen.

Brüssel möchte die EU mit dem Vertrag zukunftsfähig machen, zum
Beispiel durch weniger Veto-Möglichkeiten für Staaten. Damit der
Vertrag in Kraft treten kann, muss er von allen 27 EU- Mitgliedern
ratifiziert werden. Das parlamentarische Verfahren in Deutschland ist
abgeschlossen, allerdings wartet Bundespräsident Horst Köhler mit der
Unterzeichnung bis zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts.

Die Europäische Kommission begrüßte das Ja des tschechischen
Parlaments zum EU-Reformvertrag von Lissabon. «Das ist ein wichtiges
Zeichen für das Bekenntnis des Parlaments zu Europa», sagte EU-
Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Das Signal komme
«zu einer Zeit, da die tschechische EU-Ratspräsidentschaft mit
Hingabe und Kompetenz» an der Spitze Europas stehe.
dpa kza xxzz z2 dm