Deutsche Lehrer sind zu alt - EU schlägt Alarm Von Britta Schultejans, dpa

16.07.2009 15:42

   Brüssel (dpa) - «Unser Jüngster wird 50» - mit Slogans w
ie diesen
machte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon in den
90er Jahren auf das aufmerksam, was inzwischen in Deutschland kaum
mehr zu übersehen ist: In deutschen Lehrerzimmern sitzen immer mehr
ergraute Eminenzen. Jetzt schlägt die EU-Kommission Alarm: Deutsche
Pädagogen werden im Schnitt immer älter. Fast nirgendwo in Europa
gibt es so viele alte Lehrer wie in der Bundesrepublik. Die
«Schlüsselzahlen zum Bildungswesen in Europa», die am Donnerstag in
Brüssel vorgestellt wurden, zeigen: Fast jeder zweite Lehrer in
Deutschland ist über 50 und wird in den kommenden 10 bis 15 Jahren in
den Ruhestand gehen.

   Die deutschen Grundschullehrer sind innerhalb der Europäischen
Union laut Statistik die ältesten. An weiterführenden Schulen läuft
nur Italien der Bundesrepublik den Rang ab - dort sind sogar mehr als
60 Prozent der Lehrer über 50. «In einigen Bereichen ist mit einem
Lehrermangel zu rechnen», warnt EU-Bildungskommissar Ján Figel. Nach
Berechnungen des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm werden sich
bis 2020 rund 460 000 deutsche Pädagogen in den Ruhestand
verabschieden. Pro Jahr kommen aber nur etwa 26 000 junge Lehrer
nach. Selbst bei zurückgehenden Schülerzahlen reicht das nach Klemms
Berechnungen nicht aus, um den Standard von heute zu halten -
geschweige denn, ihn zu verbessern.

   Für die EU-Kommission ist die Quantität allerdings nicht das
einzige Problem. Ein fortgeschrittenes Durchschnittsalter des
Lehrers könne auch Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts
haben, wird befürchtet. «Viele neue Lehr- und Lernmethoden werden
nicht angewandt», sagt Stanislav Ranguelov, der an der Studie
mitgearbeitet hat. «Gerade Lehrer im fortgeschrittenen Alter brauchen
mehr Weiterbildungsmöglichkeiten.» Kommissar Figel fügt hinzu: «Die
Qualität der Lehrerausbildung ist grundlegend für die Bildung von
Schülern. Lehrer sollten innovativer und kreativer sein.»

   In Deutschland wird laut Ranguelov Gruppenarbeit im europaweiten
Vergleich nur selten eingesetzt. Dabei sei es wichtig, mehr
schülerzentrierten Unterricht anzubieten. Aus der Kommissionsstudie
geht beispielsweise hervor, dass nur rund 20 Prozent der deutschen
Viertklässler in Gruppenarbeit das Lesen übten.

   Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter
Meidinger (Jahrgang 1954), betont dagegen: «Auch die Erfahrung ist
wichtig. Man kann nicht sagen, der ältere Kollege ist der
schlechtere.» Trotzdem sei die Altersstruktur der deutschen
Lehrerschaft ein großes Problem.

   «Wir müssen zusehen, dass der Beruf attraktiver wird für jun
ge
Leute», sagt Meidinger. Für Viele sei der Lehrerberuf nur eine
Notlösung. «Auch, wenn wir im Moment händeringend Lehrer suchen,
dürfen wir die Qualität nicht vernachlässigen.» Meidinger schätzt
,
dass sich fast jeder fünfte Bewerber nicht für den Schuldienst
eignet, weil er «nicht kommunikativ» ist und «problematische
Persönlichkeitsmerkmale für den Lehrerberuf» mitbringt.

   EU-Kommissar Figel sieht das Problem vor allem in der
gesellschaftlichen Akzeptanz der Berufsgruppe. «Der Lehrerberuf ist
in unserer Gesellschaft nicht gerade der attraktivste.» Nach Angaben
der Kommission ist das beispielsweise bei den Finnen anders. «In
Finnland ist der Beruf anerkannt und attraktiv», sagen die Experten.
Knapp die Hälfte der finnischen Lehrer ist unter 40. «Es liegt an den
einzelnen Mitgliedsstaaten, etwas zu tun», betont Figel.
dpa bs cb xx a3 mü/la