Oettingers Ankunft in Europas Zentrale der Macht Von Dorothée Junkers, dpa
18.02.2010 16:34
Brüssel (dpa) - Die Möbel stammen von Vorgänger Günter Ve
rheugen,
sie wirken verstaubt und werden noch ausgetauscht. Ansonsten ist die
Stimmung im Büro des neuen deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger
entspannt. Direkt unter der blauen Europaflagge schlummert Sohn
Alexanders schwarzer Mischlingshund Lucky. Oettinger trinkt schwarzen
Tee mit Zucker. «Ich starte ohne Vorschusslorbeeren, aber auch ohne
Vorbehalte», meint er zu seinen ersten Schritten auf Brüsseler
Parkett. Nervös sei er nicht. «Aber neugierig und konzentrierter als
sonst.»
Der 56-Jährige hat allen Grund, zufrieden zu sein. Der Blick aus
dem Fenster im neunten Stock des sternförmigen Berlaymont-Gebäudes
fällt schräg nach unten auf das Ministerrats-Gebäude, wo die EU-
Staaten tagen. Oettinger ist im Zentrum der Macht angekommen: Die EU-
Kommission ist eine Art europäischer Geschäftsführung. Diesen
Mittwoch hat er erstmals seine 26 Amtskollegen zur gemeinsamen
Wochenkonferenz getroffen und sich den mehr als 600 Mitarbeitern der
Generaldirektion «Energie» vorgestellt. Während seiner
Vorbereitungszeit habe er sich an die Zeiten als «Junior-Jurist»
erinnert, erzählt er, und erntet Applaus von seinen Mitarbeitern.
Vor allem mit Blick auf die Versorgungssicherheit steht sein
Ressort seit Jahren ganz oben auf der Prioritätenliste der EU.
Oettinger ist zuständig für Atomforschung und -sicherheit, Netze und
Pipelines. Streiten Moskau und Kiew über den Gas-Transit nach Europa,
muss er wie Ex-Energiekommissar Andris Piebalgs vermitteln. Auch beim
Klima geht ohne den Energiekommissar wenig: Er ist zuständig, dass
die Europäer Strom sparen, Windräder bauen oder ihre Häuser dämmen.
Der neue EU-Grundlagenvertrag («Lissabon») schafft zudem eigen
e
Kompetenzen für die EU-Ebene im Bereich Energie. «Seine Hauptaufgabe
ist der Energie-Binnenmarkt», erklärt Georg Zachmann vom Think-Tank
Bruegel. «Es gibt keine integrierte europäische Netzplanung, und das
wird zunehmend zum Problem.» Sprich, jedes EU-Land kümmert sich um
seine Infrastruktur, es gibt zu wenig gemeinsame Planung oder
grenzüberschreitende Netze. Dann hätten auch die Verbraucher mehr
Auswahl, mit niedrigeren Preisen - das wäre echter Wettbewerb,
erklärt der FDP-EU-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. «Wir können
in Deutschland Autos aus Frankreich oder Wein aus Italien kaufen,
aber beim Strom geht das nicht.»
Und doch hatten Diplomaten, Europaabgeordnete und
Kommissionsbeamte sowohl mit Blick auf die Person als auch auf das
Ressort Energie zunächst überrascht reagiert. Günther wer?, fragten
viele, als Angela Merkel im Oktober Oettinger nominierte. Wollte die
Kanzlerin tatsächlich einen unbequemen Landesfürsten «abschieben»?
Nicht nur, dass die CDU bei der Bundestagswahl 2009 im Südwesten
wenig brillierte. Oettinger ist als hochintelligenter, fleißiger
Polit-Profi gewinnend im kleinen Kreis, aber kein Menschenfänger auf
großer Bühne. In Ungnade aber fiel er mit einer Trauerrede für
Amtsvorgänger Hans Filbinger, einstiger NS-Marinerichter, den er als
Gegner des Nazi-Regimes bezeichnet hatte und zurückrudern musste.
Andere EU-Regierungen wie Frankreich und Spanien schickten
Schwergewichte nach Brüssel, Ex-Minister wie Michel Barnier oder
Joaquín Almunia, kritisierten manche. Zentrale Wirtschaftsressorts
seien Deutschland so durch die Lappen gegangen. Auch PR-mäßig habe
ihm Merkel einen Bärendienst erwiesen - nicht einmal EU-
Kommissionspräsident José Manuel Barroso habe sie rechtzeitig
informiert. «Die Kanzlerin hat jemanden geschickt ohne
europapolitische Erfahrung, aber das kann man Oettinger nicht
anlasten», betont Lambsdorff.
Und sogar der politische Gegner bescheinigt Oettinger, er habe
einen guten Start hingelegt. «Er ist engagiert, das begrüße ich»,
sagt der Grüne Reinhard Bütikofer. Für die nötige «fundamentale
Umstellung der Energiepolitik» müsse er die gesamte Kommission
gewinnen. Oettinger spreche schlechtes Englisch, «Schwänglisch» statt
der Sprache Shakespeares? Bütikofer winkt ab. «Der ist doch nicht als
Dolmetscher engagiert.» Zumal Oettinger im Sommerurlaub in einem
englischsprachigen Land Unterricht nehmen will.
Auch Oettinger selbst gibt sich gelassen: «Es wäre in jeden
Kandidaten etwas hineinspekuliert worden.» Vor allem die Anhörung im
Januar im Europaparlament war sein Befreiungsschlag. Er sprach
langsam, überzeugte mit Vorbereitung und Fachwissen, war locker und
verbindlich. Auch personalpolitisch habe Oettinger «alles richtig»
gemacht, heißt es: Mit Chefberater Michael Köhler und Generaldirektor
Philip Lowe wählte er gut vernetzte Top-Kommissionsbeamte.
Auch Oettinger selbst ist Profi-Netzwerker, Mitglied des CDU-
Präsidiums ebenso wie der mächtigen Europa-Union, pflegt beste
Kontakte in die Wirtschaft. Viele Kommissars-Kollegen kennt er seit
Jahren, Siim Kallas etwa vom Tennisspielen.
Bis Pfingsten wolle er sich in Brüssel eingerichtet haben, erz
ählt
Oettinger. Bei der Wohnung werde auch Lebensgefährtin Friederike
Beyer mitreden. Die gut 24 Jahre jüngere PR-Dame zieht zwar nicht mit
nach Brüssel. «Aber sie soll sich hier wohlfühlen», sagt Oettinger.
«Ich bin da eher pflegeleicht.» Wichtigste Kriterien: Nahe bei der
Arbeit, und eine lebendige Gegend mit Restaurants und Geschäften. Nur
die Wochenenden, die werde er «wohl eher in Stuttgart verbringen».
(Berichtigung: Im sechsten Absatz wurde in der ersten Zeile
berichtigt: Bundestagswahl 2009 (statt: 2005)
dpa dj xx a3 la tl