Der Sacharow-Preis: Geschenk für Kubas Opposition Von Franz Smets, dpa

21.10.2010 16:47

Als Andrej Sacharow 1989 in Moskau starb, waren in der Sowjetunion
politische Reformen im Gang. Der nach ihm benannte Preis für den
kubanischen Dissidenten Guillermo Fariñas ist ein Signal an Havanna,
auch politische Reformen zu beginnen.

   Havanna/Mexiko-Stadt (dpa) - Bei der kubanischen Opposition hat
die Ehrung für den Dissidenten Guillermo Fariñas große Begeisterung
ausgelöst. «Wenn einer den Sacharow-Preis verdient hat, ist es er»,
sagte die bekannteste oppositionelle Bloggerin des sozialistischen
Karibikstaates, Yoani Sánchez, am Donnerstagmorgen in einer ersten
Reaktion. «Wir sind sehr glücklich darüber, denn es ist eine
moralische Kompensation für die Leiden, die er mit dem Kampf gegen
das Regime auf sich genommen hat, aber es ist auch ein Geschenk an
die kubanische Gesellschaft.»

   Die kubanische Führung schwieg am Mittwoch erwartungsgemäß.
Auf
der Internetseite der Regierung Cubadebate.cu äußerte sich
Revolutionsführer Fidel Castro erneut zu den Gefahren eines
Atomkrieges. Auch über die Fortsetzung der Ausweisung der politischen
Gefangenen und Oppositionellen hauptsächlich nach Spanien herrscht
offiziell weiterhin eisiges Schweigen. Seit Juli sind 39 politische
Häftlingen aus den Gefängnissen entlassen und aus Kuba ausgewiesen
und damit zum Schweigen gebracht worden.

   Doch der Umgang Kubas mit der Opposition und die Lage der
Menschenrechte sind weiterhin das Anliegen des europäischen
Parlaments. Spanien und die Regierung in Havanna wollen mit der
Ausklammerung dieses Problems in den Beziehungen zur Tagesordnung
übergehen.

Als im Juli die von der katholischen Kirche Kubas ausgehandelte
Freilassung begann, sagte der damalige spanische Außenminister Miguel
Ángel Moratinos: «Es gibt keinen Grund mehr, die gemeinsame
europäische Position aufrecht zu erhalten.» Diese verlangt von der
kubanischen Regierung als Voraussetzung für die Normalisierung, die
Menschenrechtslage auf der Insel in Ordnung zu bringen. Doch der
Sacharow-Preis für Fariñas bringt zumindest den Fahrplan dahin
durcheinander.

   Kuba befindet sich derzeit in einer wirtschaftlich äußerst
schwierigen Lage und hat deshalb damit begonnen, private Initiativen
zuzulassen. Im kommenden Jahr sollen 500 000 Angestellte aus dem
unproduktiven staatlichen Sektor der Volkswirtschaft entlassen
werden. Sie sollen in bislang noch nicht vorhandenen privaten
Kleinstbetrieben, in Friseurläden, Obstständen, bei Handwerkern und
vor allem in der Landwirtschaft ihr Auskommen finden.

   Nach Meinung vieler Fachleute wird Kuba damit im kommenden Jahr
vor eine Zerreißprobe gestellt. Die Regierung kann sich nicht sicher
sein, wie diese ausgehen wird. Am Mittwoch machte der Vize-
Außenhandelsminister Orlando Hernández deutlich, wie dringend die
Regierung nach internationalen Investoren sucht, um die Krise zu
überstehen. US-Unternehmen könnten jedes Jahr 2,5 Milliarden Dollar
in Kuba investieren, sagte er. Sie täten es aber nicht, weil es ihnen
wegen des seit Jahrzehnten bestehenden US-Embargos untersagt sei.

   Das dürfte sich so schnell nicht ändern, denn die Voraussetzun
g
für eine Änderung der Haltung Washingtons wären politische Reformen,

Presse- und Reisefreiheit. Denen aber hat Präsident Raúl Castro stets
eine klare Absage erteilt. Fariñas ist in seinen Augen immer noch ein
gewöhnlicher Krimineller. Der Dissident, der nach seinem jüngsten
Hungerstreik gesundheitlich extrem geschwächt ist, wird aller
Voraussicht nach keine Genehmigung erhalten, um den Preis selbst
entgegenzunehmen. Jetzt erwägt er schon wieder einen Hungerstreik, um
die Reiseerlaubnis nach Straßburg zu erzwingen.

   Politische Reformen aber werden in Kuba immer öfter gefordert. F
ür
Yoani Sánchez kann der Sacharow-Preis Initialzündung in der
Gesellschaft entfalten. «Immer mehr Menschen werden sich auflehnen»,
sagte sie.

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