Anleger strafen EU-Schuldenstaaten ab Von Rochus Görgen und Harald Schmidt, dpa

12.11.2010 13:24

Die Krise mit maroden Staatsanleihen in der Eurozone nimmt kein Ende.
Zwar hat die Politik Rettungsschirme aufgespannt und versucht die
Märkte zu beruhigen. Doch die Wirkung ist gering. Erste Ökonomen
warnen vor einem Desaster.

   Frankfurt/Seoul (dpa) - Die Märkte trauen dem Braten nicht:
Anleger verlangen für das Halten von Staatsanleihen maroder Staaten
weiter drastische Risikoaufschläge im Vergleich zu deutschen
Anleihen. Weder der EU-Rettungsschirm noch der Anleihenkauf der
Europäischen Zentralbank oder die angekündigten Sparprogramme können

sie überzeugen.

Rund neun Prozent beträgt der Aufschlag bei zehnjährigen Papieren
Griechenlands, mehr als sechs Prozent in Irland, knapp fünf Prozent
mehr muss Portugal versprechen. EU-Kommissionspräsident José Manuel
Barroso sagte Irland bereits zu: «Falls es notwendig sein sollte,
steht die EU bereit, Irland zu unterstützen.» Und fünf führende EU-

Staaten einschließlich Deutschland bekräftigten am Rande des G20-
Gipfels in Seoul, für diese Hilfen seien keine Gelder der
Anleihenbesitzer notwendig.

   Im Frühjahr hatte die EU ein Hilfspaket für Griechenland
geschnürt, später einen milliardenschweren Rettungsschirm für andere

notleidende EU-Staaten gespannt. Und die EZB kündigte Stützungskäufe

an - letztendlich, um den Euro zu retten. Doch diese Maßnahmen
beeindrucken die Märkte immer weniger. Inzwischen ist ein heftiger
Streit darüber ausgebrochen, wie es nach dem Ende der Sonderprogramme
weitergehen soll. Der 750 Milliarden Euro schwere Rettungsschirm der
Europäer läuft 2013 aus.

   Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schwebte eine Lös
ung
vor, mit der die Investoren zur Kasse gebeten werden sollen. «Wer
hohe Risikoaufschläge auf Staatsanleihen kassiert, muss dieses Risiko
künftig auch tragen, wenn es ernst wird», lautete seine Leitlinie,
die er noch vor einer Woche in einem «Spiegel»-Interview bekräftigte.

Die Märkte reagierten panisch. Nun wurde in einer Erklärung aus Seoul
betont, neue Regelungen würden nicht für bisherige Anleihen gelten.

   Der harte Schäuble-Ansatz dürfte beim Steuerzahler gut ankomme
n:
Denn dann würden im Ernstfall nicht allein der Staat, sondern auch
Investoren wie Banken und Versicherungen zur Kasse gebeten. Doch so
logisch der Vorstoß klingen mag, Kritiker warnen vor gravierenden
Folgen. So schrieb EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi diese
Woche in der Wochenzeitung «Die Zeit»: «Letztendlich würde genau da
s
Gegenteil von dem erreicht werden, was ursprünglich beabsichtigt war:
Spekulative Investoren würden sich die Situation zunutze machen,
während viele Kleinsparer Schaden nähmen.» Und er schließt seine
Argumentation mit den Worten: «Eine solche Vorgehensweise wäre das
Rezept für ein Desaster.»

   Auch in Brüssel stößt Schäuble auf Widerstand. Der Chef de
r Euro-
Finanzminister, Jean-Claude Juncker, verlangt eine Debatte über eine
gemeinsame europäische Schuldenpolitik: «Ich hätte gerne, dass wir
über Euro-Bonds (Euro-Anleihen) nachdenken.» Das lehnt Deutschland
bislang strikt ab - denn die Bundesrepublik kann sich derzeit allein
viel preiswerter finanzieren als im Euro-Verbund.

   Helaba-Volkswirt Patrick Franke warnt vor den Risiken einer
Insolvenzordnung, bei der private Gläubiger an den Lasten einer
Insolvenz beteiligt würden, für Staaten wie Irland: «Die Furcht der
Investoren vor genau so einem Verlust treibt aktuell die Risikoprämie
irischer Anleihen nach oben. Je wahrscheinlicher dieser "bail-in" der
Privatanleger durch die neue EU-Regelung wird, umso schwieriger wird
es für die Dubliner Regierung, eine Anschlussfinanzierung für ihre
ausstehende Schuld zu akzeptablen Bedingungen sicherzustellen.»
   
   Die Debatte um einen Ausweg aus dem europäischen Schuldensumpf
fällt ausgerechnet in eine Zeit, wo auch an den internationalen
Anleihemärkten die Zeichen auf Turbulenzen stehen und manche bereits
von einem Währungskrieg sprechen. Zuletzt kündigte die US-Notenbank
Fed eine weitere Flutung der Märkte mit 600 Milliarden Dollar an,
Staaten wie Brasilien wehren sich inzwischen mit Sondersteuern gegen
das Überschwappen der Geldmengen in ihr Land.

   Für Verwirrung sorgte diese Woche auch Robert Zoellick, immerhin

Präsident der Weltbank, mit seinen Äußerungen zu Gold und einem neuen

Währungssystem. In einem Gastbeitrag in der «Financial Times» meinte

er, Gold solle ein «internationaler Bezugspunkt» in einem neuen
Währungssystem sein. Zwei Tage später stellte er klar, dass er damit
aber keineswegs die Rückkehr zum Goldstandard fordere.

   Auch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hält eine Rückkehr zum

Goldstandard für den falschen Weg. Beim G20-Treffen in Seoul sagte
er: «Ich glaube weder, dass wir zu einem Goldstandard zurückkehren
sollten, noch, dass fixe Wechselkursen ein stabiles System wären.»

   Dass Anleiheninvestoren derzeit misstrauisch sind, scheint
angesichts der Unsicherheiten nur logisch. Und das spiegelt sich auch
im Goldpreis wieder, der mit mehr als 1400 Dollar pro Feinunze neue
Rekordmarken erreichte. Für Zoellick eine Gefahr, dessen sich die
Politik bewusst werden müsse. «Gold is the yellow elephant in the
room», meinte er in Singapur. Frei übersetzt bedeutet das: «Wir
übersehen ein riesiges Problem.»

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