Die Montanunion: Ein Modell für Europa Von Christian Böhmer, dpa
15.04.2011 09:45
Keine Reden, kein Champagner: Der 60. Geburtstag der Montanunion
wird in Brüssel in aller Stille begangen. Die Gemeinschaft für Kohle
und Stahl war die Keimzelle der heutigen EU - und schon damals wurde
um Macht und Einfluss gestritten.
Brüssel (dpa) - Die Montanunion ist in Brüssel nicht vergessen,
obwohl es sie seit 2002 nicht mehr gibt. Die vor 60 Jahren aus der
Taufe gehobene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)
war das Modell für die heutige Europäische Union (EU). Die
Gemeinschaft der inzwischen 27 Mitgliedstaaten ist einer Grundidee
der Montanunion treugeblieben: Mit einer schrittweisen
wirtschaftlichen Integration soll die politische Einigung
vorangetrieben werden. Der Euro und der gemeinsame Binnenmarkt für
rund 500 Millionen Menschen sind ein Beispiel dafür.
Der EGKS-Vertrag wurde am 18. April 1951 in Paris von der
Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg
und den Niederlanden unterzeichnet. Er trat gut ein Jahr später, am
23. Juli 1952, in Kraft. Die Montanunion war die erste der
«Europäischen Gemeinschaften». Es entstand erstmals ein gemeinsamer
Markt für Kohle- und Stahlprodukte. Zölle, Kontingente und
Sondertarife fielen weg. In den Zeiten des Wirtschaftswunders trugen
in Deutschland sogar Zigarren den Namen «Montanunion».
Die EGKS war auch ein Friedensprojekt, denn die Kohle- und
Stahlindustrien waren traditionell die Stützen der einzelstaatlichen
Rüstung gewesen. Das Vorhaben, hinter dem vor allem der damalige
französische Außenminister Robert Schuman (1886 bis 1963) stand,
war nicht ohne Hintergedanken. Frankreich konnte sich eine
Mit-Kontrolle über die deutschen Kohlevorkommen sichern. 1957
gründeten die sechs EGKS-Staaten dann in Rom die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische
Atomgemeinschaft (Euratom). Es folgte dann viel später 1992 die
Gründung der EU mit dem Vertrag von Maastricht.
Die blau-schwarze Flagge der Montanunion, deren Vertrag im Juli
2002 auslief, lagert in den Archiven der EU-Kommission. Ein anderes
Erbe der ersten europäischen Gemeinschaft beschäftigt die
Institutionen noch immer: Die Sitzfrage. Bei der Pariser Konferenz
1951 gab es Streit. Deutschland und Frankreich brachten Saarbrücken
als Standort ins Gespräch. Am Ende fanden die Gründerväter nach
langen Debatten den Kompromiss, die Institutionen vorläufig in
Luxemburg anzusiedeln.
Heutzutage gibt es viel Kritik daran, dass die EU-Institutionen
auf mehrere Städte in verschiedenen Ländern verteilt sind. Während
die EU-Kommission ihre meisten Dienststellen in Brüssel hat, ist
beispielsweise der Europäische Gerichtshof in Luxemburg angesiedelt.
Viele EU-Parlamentarier beschweren sich, zwischen den Standorten der
Volksvertretung in Brüssel und Straßburg pendeln zu müssen. In den
50-er Jahren des 20. Jahrhunderts hätte es eine eindeutige
Weichenstellung zugunsten Brüssels geben können - dies sei aber
versäumt worden, bemängeln Experten.
Schon 1967 verlor die Montanunion ihre Führungsgremien - sie
wurden mit denen der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen
Atomgemeinschaft zusammengelegt. Kohle und Stahl verloren den Rang
von Schlüsselindustrien. Das heißt aber nicht, dass diese
Wirtschaftszweige in Brüssel keine Rolle mehr spielen. Deutschland
kämpfte im vergangenen Jahr - letztlich erfolgreich - dafür, seine
Kohlehilfen bis 2018 weiterführen zu können.
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