Groteske oder Doku? EU-Asylpolitik auf der Bühne Von Irmgard Rieger, dpa

22.05.2011 11:18

Auf der italienischen Flüchtlingsinsel Lampedusa zeigt sich die
EU-Asylpolitik wie unter der Lupe. Das Schauspielhaus Graz bezieht
in seinem Projekt «Boat People» Position und bietet spannendes
Theater.

Graz (dpa) - «Wir sind viele«, drohen die Afrika-Flüchtlinge.
«Wir bringen Drogen! Wir bringen Aids!». Der Schlepper stoppt eine
Seriengeburt: «Schluss jetzt, das Boot ist voll». Ein schneller
Einstieg zwischen Groteske und Satire in ein brennend aktuelles
Thema. Souverän umschifft das Stück «Boat People» im Grazer
Schauspielhaus die Betroffenheitsklippe. Das Publikum zeigte sich
bei der Uraufführung am Samstag beeindruckt von einem Stück, das aus
dem Rahmen fällt.

«Boat People» bedient sich aller Mittel des Theaters. «Boat
People» ist aber auch eine Stellungnahme: Die EU nimmt mit ihrer
Flüchtlingspolitik - so die Anklage des Stücks - den Tod von
Menschen in Kauf und lässt die Länder an den südlichen Aussengrenzen

mit einem riesigen Problem alleine.

«Empört Euch» steht auf einem Flugblatt, das ein eben
angekommener Flüchtling im Publikum verteilt. Kein Zweifel: Das Team
aus Graz mit vier Schauspielern um Regisseurin Christine Eder und
Dramaturgin Regina Guhl will zu einer Haltung auffordern. Das
Publikum blieb, was sich im anschließenden Gespräch zeigte, zum Teil
bis zuletzt skeptisch, beklatschte aber einhellig ein spannendes
Stück Theater zwischen Groteske und Dokumentation.

Zu Beginn werden gleich einmal alle möglichen Klischees und
Gegenklischees offensiv angegangen. Da hockt ein Häuflein offenbar
«Eingeborener» um ein imaginäres Lagerfeuer, gibt seltsame Geräusch
e
von sich, die sich schließlich zu einem rhythmischen «EU, EU, wir
fahren nach EU» formen. Ein LKW-Schlauch wird zu einem wackeligen
Boot, auf dem vier Flüchtlinge, ein Klappstuhl, eine rote Fahne und
jede Menge Phrasen Platz finden.

Die Phrasendrescherei wird mittels Publikums-Intervention auf die
Spitze getrieben, wenn eine Kandidatin für ein EU-Gewinnspiel raten
muss, ob sich an der südlichen Außengrenze nun «antike
Flüchtlingsdramen» oder «menschliche Tragödien» abspielen. Flugs

wird die Brücke zum eigenen Leben gespannt: «Das ist nun das Kapitel
Konsumkritik», damit ist der Boden bereitet für die ungeschminkte
Wahrheit.

In knappen Sätzen werden Einzelschicksale umrissen: «Ich bin 22
und habe alles gesehen», sagt eine Nigerianerin, die von
Vergewaltigungen und Sklavenarbeit in Libyen berichtet. Oder: «Ich
habe mein totes Baby in eine Decke gewickelt und über Bord geworfen.»

Am Ende wird schlicht dokumentiert. Die Videokamera hat auf einer
Recherchereise alles festgehalten, von der Ankunft der Flüchtlinge
über die hilfsbereite Aufnahme durch die Menschen auf Lampedusa bis
zur Weiterfahrt ins Unbekannte. Eine Fahrt ins Ungewisse auch für
das Publikum: «Ich gehe mit mehr Fragen hinaus, als ich gekommen
bin», meint ein Besucher.

Entstanden ist der Abend als Teil des internationalen Projekts
«Emergency Entrance» («Noteingang»), zu dem sechs Theater in Graz,

Prag, Cluj in Ungarn, Palermo, Athen und Tel Aviv Beiträge liefern
und das von der EU gefördert wird. Bei einem Festival im Januar
sollen alle Stücke in Graz zu sehen sein.

# dpa-Notizblock

## Internet
- [Homepage des Theaters] (http://www.schauspielhaus-graz.com)
- [Homepage zum Projekt] (http://www.emergency-Entrance.com]

## Orte
- [Schauspielhaus] (Hofgasse 11, 8010 Graz, Österreich)