Ratingagenturen spielen entscheidende Rolle in Griechenlandkrise Von Jürgen Sabel, dpa-AFX und Thomas Kaufner, dpa

04.07.2011 16:09

Sie sind die Macht im Hintergrund der Finanzmärkte: Investoren und
sogar Zentralbanken orientieren sich am Urteil der Ratingagenturen.
Doch ihr Einfluss ist umstritten - auch weil sie nach Expertenmeinung
mit «unterschiedlichen Maßen» urteilen.

Frankfurt/Main (dpa) - Geht ihr Daumen nach unten, kann das ein
Erdbeben an den internationalen Finanzmärkten auslösen. Deshalb
spielen die Ratingagenturen auch in der Griechenlandkrise eine
entscheidende Rolle. Denn der Dreh- und Angelpunkt des geplanten
zweiten Hilfspakets für Athen ist die Beteiligung privater Investoren
wie Banken und Versicherungen an dem bis zu 120 Milliarden Euro
schweren Paket.

Die Politik und die Finanzmärkte fürchten, dass die drei
bedeutendsten Ratingagenturen - Standard & Poor's (S&P), Moody's und
Fitch - eine Einbindung der Privaten als Zahlungsausfall («default»)
werten könnten - für alle griechischen Anleihen, oder zumindest für
ausgewählte Titel («selective default»).

Das wiederum könnte eine Kettenreaktion auslösen, die manche
Experten mit den verheerenden Entwicklungen nach der Pleite der
US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 vergleichen. Ein
«Zahlungsausfall» würde dazu führen, weil dann auch
Kreditausfallversicherungen (CDS) in unbekannter Höhe fällig würden -

ein schwer kalkulierbares Risiko. Und griechische Anleihen dürften
von Banken nicht mehr als Eigenkapital verwendet werden. Dies könnte
das griechische Bankensystem in den Kollaps führen und zu
Ansteckungsgefahren für andere Euroländer wie Portugal, Irland,
Spanien oder gar Italien führen.

Die Machtfülle der allesamt in den USA beheimateten Agenturen ist
riesig: An ihren Noten orientieren sich nicht nur private Käufer von
Staatsanleihen, sondern auch die Aufsichtsbehörden und Notenbanken
wie die Europäische Zentralbank (EZB). Anleihen mit einem schlechten
Rating haben kaum eine Chance, Käufer zu finden. So wird Griechenland
bei S&P nur noch mit der Note «CCC» bewertet. Viele Investoren wie
Versicherungen und Pensionsfonds dürfen griechische Anleihen daher
gar nicht mehr erwerben.

Gerade die Orientierung der EZB an den Ratings macht die
Beteiligung privater Gläubiger an der Griechenlandhilfe schwierig.
Wenn Banken Wertpapiere als Sicherheiten einreichen, dann müssen
diese eine bestimmte Ratingnote aufweisen. Diese Kriterien wurden in
der Wirtschafts- und Finanzkrise zwar aufgeweicht. Sollten die
Agenturen jedoch griechische Staatsanleihen nach einem freiwilligen
Forderungsverzicht als «Ausfall» bewerten, hätte die EZB kaum noch
eine Wahl, solche Papiere als Sicherheiten zurückzuweisen. Dies haben
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und andere EZB-Spitzen mehrfach
deutlich gemacht.

So hatte die Agentur Fitch vor einem freiwilligen Tausch
griechischer Staatsanleihen gewarnt und mit einer Herabstufung auf
«Default» gedroht. Und am Montag warnte S&P nun, dass selbst das
sorgsam ausgetüftelte «Pariser Modell» wahrscheinlich als
Zahlungsausfall interpretiert werden würde.

Für den Chefanalysten der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, ist
das ein Beleg dafür, dass die Ratingagenturen mit «seltsam
unterschiedlichen Maßen» agierten. Es stellt sich die Frage, warum
die freiwillige, aber eindeutig eng mit den Banken koordinierte Hilfe
der G20-Staaten und insbesondere der USA im Rahmen der Finanzkrise
dann nicht als «Selective Default» für die von den Hilfsmaßnahmen
begünstigten Banken bewertet worden sei, sagte Hellmeyer am Montag.
«Der politische Beigeschmack ist erheblich.»

Umstritten sind die Leistungen der Ratingagenturen schon länger:
So hatten sie vor der jüngsten Finanzkrise mit Immobilien besicherte
Kredite oftmals mit der Bestnote «AAA» bewertet. Dies führte zu
leichtfertigen Käufen dieser Papiere, die sich im Nachhinein oft als
wertlos erwiesen hatten. Auch Anleihen von Schuldenstaaten in der
Eurozone erhielten lange gute Bonitätsnoten. Zumindest Standard &
Poor's verteidigt sich damit, dass man Griechenland bereits im Jahr
2004 herabgestuft habe. Damals sei diese Entscheidung kaum beachtet
worden.

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