Gericht: Piloten dürfen bis 65 im Cockpit bleiben Von Marion Trimborn und Christian Ebner, dpa
13.09.2011 15:21
Bis zu welchem Alter sollten Piloten Verkehrsflugzeuge fliegen? Bis
65, meint das höchste europäische Gericht und kippt eine
arbeitnehmerfreundliche Regelung bei der Lufthansa. Die hat ihre
Piloten bislang mit 60 in den gut gepolsterten Vorruhestand
geschickt.
Luxemburg/Frankfurt (dpa) - Mit 60 ist auch für Piloten lange noch
nicht Schluss: Fluggesellschaften dürfen nach einem EU-Urteil ihre
Kapitäne und Co-Piloten in diesem Alter nicht zwangsweise in den
Ruhestand schicken. Die bei der Lufthansa tariflich vereinbarte
Altersgrenze von 60 Jahren sei eine Diskriminierung der Älteren und
verstoße gegen europäisches Recht, entschied am Dienstag der
Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Nun müssen die größte
deutsche Airline und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC)
den Tarifvertrag für 4200 Piloten ändern. Das Urteil könnte auch
Altersgrenzen anderer Berufsgruppen infrage stellen.
Laut geltendem Recht können Berufspiloten bis 65 Jahre aktiv sein
- diese Altersgrenze stellt der EuGH nicht infrage. Nach Ansicht des
Gerichts ist ein Verbot mit 60 Jahren aber «unverhältnismäßig» un
d
«für den Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Gesundheit nicht
notwendig». Zudem seien für Pilotenlizenzen ohnehin regelmäßig
medizinische und technische Checks vorgeschrieben. International gilt
die Vorgabe: Hat ein Pilot die 60 überschritten, darf er noch fünf
Jahre in Passagiermaschinen weiterfliegen, wenn außerdem ein Pilot
unter 60 Jahren im Cockpit sitzt.
Geklagt hatten drei Piloten der Lufthansa, deren Arbeitsverträge
nach Tarifvertrag zum 60. Geburtstag automatisch endeten. Wegen des
Urteils kündigte die Lufthansa an, man werde sich mit der Vereinigung
Cockpit (VC) zusammensetzen und nach neuen Lösungen suchen. Ein
Großteil der Piloten sei aber bislang mit der tariflichen Regelung
einer Altersgrenze mit 60 Jahren plus Rentenübergangsregelung
zufrieden gewesen, sagte ein Unternehmenssprecher. Unmittelbare
Folgen gebe es nicht, weil das Bundesarbeitsgericht die Vorgaben erst
in nationales Recht umsetzen müsse.
Die Pilotengewerkschaft zeigte sich von dem Urteil enttäuscht -
sie hatte bislang Forderungen nach einem späteren Ruhestandsbeginn
mit dem Argument der Sicherheitsrisiken zurückgewiesen. Es gebe
gewichtige Gründe für eine Altersgrenze von 60 Jahren, sagte
Gewerkschaftssprecher Jörg Handwerg der Nachrichtenagentur dpa in
Frankfurt. Er verwies auf die extremen Belastungen im Schichtdienst
und bei interkontinentalen Flügen.
Nach Einschätzung des Frankfurter Arbeitsrechtsexperten Christof
Kleinmann könnte das Urteil weitreichende Folgen haben. «Es wird
überall schwierig, wo einfach gesagt wird, ab einem bestimmten Alter
unterhalb der Regelaltersgrenze für die Rente ist Schluss», sagte der
Fachanwalt der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen der
Nachrichtenagentur dpa. Altersgrenzen von 60 Jahren seien etwa im
gehobenen Management oder auch in großen Anwaltskanzleien verbreitet.
Tariflich vereinbarte Altersgrenzen unterhalb der Rentengrenze gebe
es seiner Einschätzung nach nur noch vereinzelt.
Der Anwalt der drei Kläger, Ekkehard Helmig, sprach von einer
«grundlegenden Entscheidung». Er vertrete 75 Piloten in ähnlichen
Fällen und werde nun mit deren Arbeitgeber Lufthansa und Condor
Einzelfalllösungen suchen, sagte er der dpa.
In dem Prozess argumentierten die Kläger, sie würden wegen ihres
Alters benachteiligt. Sie wehrten sich erstmals auf Basis des neuen
Antidiskriminierungsgesetzes gerichtlich gegen ihren erzwungen
Ruhestand. Die Richter sahen das ebenso: Das Gleichbehandlungsgesetz
verbiete jede Diskriminierung im Berufsleben - zum Beispiel wegen des
Alters. Zwar könne der Einsatz von Piloten beschränkt werden, da ihr
Beruf altersabhängige körperliche Fähigkeiten erfordere, aber diese
Ungleichbehandlung müsse sich in Grenzen halten.
Die drei Piloten verwiesen darauf, dass regelmäßige ärztliche
Untersuchungen die Gefahr minimierten, während eines Fluges akut zu
erkranken. Daher seien ältere Piloten nicht grundsätzlich als
Sicherheitsrisiko anzusehen. Außerdem dürften Piloten bei der
Lufthansa-Tochter CityLine sehr wohl bis 65 fliegen - etwa bei
kürzeren Inlandsflügen. Das Bundesarbeitsgericht hatte den Fall an
das oberste europäische Gericht verwiesen und muss nun neu
entscheiden.
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine
Lüders, begrüßte die Entscheidung. «Diese Entscheidung sollten wir
zum Anlass nehmen, Altersgrenzen in Tarifverträgen kritisch zu
prüfen», sagte Lüders. «Der an das Alter geknüpfte
Zwang zum Aufhören ist nicht mehr zeitgemäß.»
# dpa-Notizblock
## Internet
- [Urteil](http://dpaq.de/tOkl8)
- [EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung](http://dpaq.de/D2rPt)
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- [Lufthansa](FRA, Deutschland)
# Ansprechpartner
- Vereinigung Cockpit, +49 69 6959760, <office@vcockpit.de>
- Lufthansa, +49 69 6962999.
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