So funktioniert der Schuldenschnitt Von Marion Trimborn, dpa
21.02.2012 10:56
Brüssel (dpa) - Aus eigener Kraft kann sich Griechenland vor der
Pleite nicht mehr retten. Seit zwei Jahren helfen die Euro-Länder und
der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Notkrediten der
öffentlichen Hand - sprich, mit dem Geld der Steuerzahler. Parallel
zu einem neuen Milliarden-Rettungspaket verzichten auch Banken und
Privatanleger auf Geld, das sie Athen geliehen haben. So sieht der
geplante Schuldenerlass aus:
Wie stark sinken die Schulden Athens?
Banken, Versicherungen, Hedgefonds und Privatanleger besitzen
griechische Staatsanleihen im Wert von gut 200 Milliarden Euro.
Verzichten sie nun wie vereinbart auf mehr als die Hälfte ihres
Geldes (53,5 Prozent), wird Griechenlands Schuldenlast um 107
Milliarden Euro leichter. Derzeit ist sie 350 Milliarden Euro schwer.
Dieser freiwillige Forderungsverzicht wurde bereits auf dem EU-Gipfel
im Oktober 2011 vereinbart - erst jetzt stehen die Details fest.
Wie läuft der teilweise Schuldenerlass ab?
Die Gläubiger tauschen ihre alten griechischen Anleihen in neue
Papiere. Das heißt, wer einen Euro investiert hat, bekommt dafür
weniger als 50 Cent. Um ihnen den Verzicht zu versüßen (englisch:
«sweeten»), sind Garantien für neue Anleihen der privaten Gläubiger
geplant.
Wie viele Anleihen bekommen die Gläubiger?
Für ihre alten Griechen-Papiere von 200 Milliarden Euro erhalten
Banken und Versicherungen beispielsweise 30 Milliarden sichere
EFSF-Anleihen plus 70 Milliarden Euro neue griechische Staatsanleihen
mit langer Laufzeit und niedrigen Zinsen. Die Zinssätze beginnen bei
2 Prozent, steigen später auf 3 Prozent und erst nach 2020 auf 4,3
Prozent. Der Schuldenschnitt von 53,5 Prozent und der Tausch in
geringer verzinsliche Anleihen bedeuten, dass Gläubiger insgesamt
mehr als 70 Prozent verlieren.
Was passiert, wenn nicht genug Gläubiger freiwillig mitmachen?
Dann müsste Athen den Verzicht erzwingen, was Turbulenzen und
Komplikationen auslösen könnte. So müsste Athen ein Gesetz erlassen,
wonach der Forderungsverzicht für alle Gläubiger - über eine
nachträgliche Änderung der Anleihebedingungen - bindend ist. Es
würden Umschuldungsklauseln, sogenannte Collective Action Clauses
(CAC) eingeführt. Das träfe allerdings auch die Europäische
Zentralbank (EZB), die mit Forderungen von geschätzten 50 Milliarden
Euro der größte Einzelgläubiger Griechenlands ist.
Macht die EZB beim Schuldenschnitt mit?
Nein, weil eine Beteiligung als verbotene Staatsfinanzierung
gelten würde. Um das zu verhindern, hat sie ihre griechischen
Anleihen nach Angaben aus Notenbank-Kreisen vorsorglich in neue
Anleihen umgetauscht. Diese sind bis auf die Kennnummer identisch und
werden künftig vor einem erzwungenen Schuldenschnitt geschützt.
Warum war das zweite Hilfspaket für den Schuldenschnitt nötig?
Weil es 30 Milliarden Euro enthält, die Anreize («sweeteners») f
ür
die neuen EFSF-Anleihen geben. Ohne sie würden Privatgläubiger wohl
nicht freiwillig an dem Schuldenerlass mitmachen. Seit vergangener
Woche ist eine Art Teilkaskoversicherung in Kraft, bei der der EFSF
das Ausfallrisiko neuer Anleihen von Krisenländern zu 20 bis 30
Prozent übernimmt, wenn Athen die Anleihe nicht zurückzahlen kann.
Zudem braucht Athen neue Kredite, weil ein solcher «Haircut» Geld
kostet, das Griechenland nicht hat. Da auch die griechischen Banken
mit einem Schuldenverzicht viel Geld verlieren, benötigen sie
frisches Kapital vom Staat.
Welche Zugeständnisse muss Athen machen?
Im Gegenzug für das internationale Hilfspaket verliert
Griechenland einen Teil seiner Haushaltssouveränität und muss
Kontrollen akzeptieren. So wird ein Sperrkonto eingerichtet, auf das
Hilfsgelder fließen - die dann ausschließlich für die Rückzahlung v
on
Zinsen benutzt werden dürfen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
mahnt, Athen müsse Bedingungen erfüllen: «Das ist kein Selbstläufer
.»
Wie sieht der weitere Zeitplan aus?
Nachdem die Euro-Finanzminister das zweite Hilfspaket von 130
Milliarden Euro gebilligt haben, kann das Angebot zum Schuldentausch
in den nächsten Tagen beginnen. «Wir erwarten eine sehr hohe
Beteiligung», sagte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker. Laut
EU-Diplomaten soll dies bis zum 9. März abgeschlossen sein.
Kann der Schuldenschnitt als Vorbild gelten?
Nein. Die Euro-Länder haben die Beschlüsse zu Griechenland immer
wieder als einmalige Ausnahme dargestellt. Bei der Rettung verzichtet
man künftig faktisch auf die Beteiligung privater Gläubiger. Denn
dies hatte auf den Märkten erhebliche Zweifel an der Solidität
europäischer Anleihen ausgelöst - und potenzielle Anleger traten in
einen Käuferstreik, der die Krise noch verschärfte.
Ist Griechenland nun gerettet?
Da sind Zweifel angebracht. Ökonomen gehen davon aus, dass
Griechenland nicht ohne weitere Hilfe aus der Schuldenfalle
herauskommen wird. «Der Plan, Griechenland im Euro radikal zu
sanieren, ist illusionär», sagte ifo-Chef Hans-Werner Sinn «Spiegel
Online». Viele Volkswirte rechnen damit, dass früher oder später ein
noch größerer Schuldenschnitt nötig wird. Dann würden alle privaten
und öffentlichen Geldgeber den Großteil ihres Geldes verlieren.
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