Immer mehr europäische Länder mit Negativzins Von Bernhard Funck, dpa

17.07.2012 16:24

Die Flucht in sichere Anlagen hält an. Viele Anleger sind sogar
bereit, Negativzinsen in Kauf zu nehmen. Davon profitieren die
wirtschaftlich stabilen Länder in Europa, während Krisenländer wie
Spanien und Italien in die Röhre schauen.

Frankfurt/Main (dpa) - Was vor wenigen Jahren noch schier
undenkbar schien, wird in der Euro-Schuldenkrise zur Gewohnheit:
negative Zinsen auf Staatsanleihen. Immer mehr europäische Länder
können sich in kürzeren Laufzeiten nicht nur zum Nulltarif
refinanzieren. Mehr noch: Sie erzielen unter dem Strich einen
Überschuss bei der Kreditaufnahme. Aus Anlegersicht werden also
quasi Gebühren für die Vermögensaufbewahrung fällig. In der
Euro-Schuldenkrise ist das der Preis dafür, dass der Investor sein
Geld in vermeintlich sicheren Händen weiß.

Die Liste der Länder mit negativen Renditen auf kurzlaufende
Staatsanleihen ist in den vergangenen Wochen immer länger geworden.
Zunächst waren es nur die der Schweiz und Dänemark. Mittlerweile
zählen hierzu auch die Euroländer Deutschland, Österreich, die
Niederlande und Finnland. Blickt man auf kürzere Laufzeiten von
weniger als einem Jahr, erweitert sich der Kreis auf Frankreich und
Belgien. Dabei handelt es sich durchweg um Staaten,
die dem sogenannten «Kerneuropa» angehören und im Vergleich zu
peripheren Krisenländern wie Spanien und Italien als vergleichsweise
stabil gelten.

Auch der Euro-Rettungsfonds EFSF, der im wesentlichen
von soliden Euroländern garantiert wird, konnte sich am Dienstag
frisches Kapital zu negativen Zinsen besorgen.

Im Gegensatz dazu müssen Krisenländer am Rande Europas viel
höhere Zinsen für frische Schulden bieten. Bei den großen
Sorgenkindern Spanien und Italien etwa liegt das Renditeniveau
selbst bei Schuldtiteln mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr
höher als bei den Papieren von Kernländern mit sehr langen Laufzeiten
von bis zu dreißig Jahren.

Die «Renditekluft» spiegelt letztlich den wirtschaftlichen und
fiskalischen Graben wider, der sich aktuell durch Europa zieht. Denn
aufgrund vieler Probleme wie starker Rezessionen, Bankenkrisen oder
struktureller Schwächen müssen Länder wie Spanien oder Italien einen

hohen Risikoaufschlag für neue Staatsschulden zahlen. Dies setzt die
ohnehin angespannten öffentlichen Haushalte zusätzlich unter Druck.

Dass sich der Trend negativer Renditen auf immer mehr Länder
ausweitet, erklären Experten aber nicht nur mit der Kreditwürdigkeit
der Staaten. Bankvolkswirte nennen im wesentlichen zwei wichtige
Gründe für den Trend. Zum einen zwingt das extrem
niedrige Renditeniveau in sehr stabilen Ländern wie Deutschland
professionelle Anleger dazu, auf Renditesuche zu gehen. Mit anderen
Worten: Um etwas mehr an Rendite zu erzielen, weichen Anleger
vermehrt auf Länder aus, deren Bonität zwar nicht ganz so gut wie
diejenige Deutschlands ist, die aber dennoch stabiler als die
europäischen Krisenländer gelten. Die Anleiheexperten der Commerzbank
nennen diese Staaten «Semi-Kernländer», deren Schuldtitel auf immer
höherer Nachfrage stoßen.

Darüber hinaus hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Trend
sinkender Anleiherenditen unlängst befeuert: Vor knapp zwei Wochen
reduzierte die Notenbank den Zinssatz, den sie Geschäftsbanken für
überschüssiges Zentralbankgeld zahlt, auf null Prozent. Dieser
Nullzins mindert den Anreiz der Institute, Geld bei der EZB zu
parken und vermehrt anderswo zu investieren. Ungeachtet dessen hat
die EZB mit zwei riesigen Geldspritzen über insgesamt eine Billion
Euro dafür gesorgt, dass die Liquiditätsausstattung der Banken
ohnehin sehr üppig ist.

Was Investoren zusehends Kopfzerbrechen bereitet, freut die
Finanzminister in den Kernländern Europas. Denn für die öffentlichen

Haushalte bedeutet eine Kreditaufnahme zum Null- oder Negativzins
eine spürbare Entlastung. Kehrseite der Medaille: Krisenländer wie
Spanien und Italien, deren Haushaltslage ohnedies angespannt ist,
leiden zusätzlich unter der Entwicklung. Sie müssen den Investoren
selbst in kurzen Laufzeiten von bis zu einem Jahr Zinsen von teils
über vier Prozent bieten.

Doch es gibt auch Lichtblicke: Den Euroländern Irland und
Portugal, die beide noch unter dem Rettungsschirm EFSF stehen,
bringen die Finanzmärkte wieder viel mehr Vertrauen entgegen, was
sich in stark rückläufigen Risikoaufschlägen für Staatstitel in den

letzten Monaten niederschlägt. Als Grund gelten vor allem die starken
Reform- und Sparanstrengungen der beiden Euro-Leichtgewichte.