Serbiens starker Mann ist der Vater des Kosovo-Abkommens Von Thomas Brey, dpa
21.04.2013 10:37
Bisher war Serbiens starker Mann Vucic nur zu Hause der politische
Star. Mit dem in Brüssel von ihm durchgedrückten Kosovo-Abkommen hat
er auch international den Durchbruch geschafft. Jetzt muss er den
Deal innenpolitisch durchboxen - die Gegner schicken Morddrohungen.
Belgrad (dpa) - Generationen von Politikern haben sich erfolglos
am Kosovo-Problem versucht. Der am Freitag in Brüssel unter
EU-Vermittlung erzielte Durchbruch geht auf das Konto des
stellvertretenden Regierungschefs Aleksandar Vucic. Mit der Ablehnung
des für Serbien ungünstigen ersten EU-Vorschlags hatte er hoch
gepokert - und gewonnen: Denn der jetzt erzielte Kompromiss zwischen
Belgrad und Pristina bringt den Kosovo-Serben so viel Autonomie, wie
es lange niemand für möglich gehalten hatte. Trotzdem machen
Nationalisten gegen Vucic mobil, der nach eigenen Angaben sogar
Morddrohungen erhält.
Als in der achten Verhandlungsrunde in Brüssel schon alles
verloren schien, schaltete sich Vucic, der auch Chef der größten
Partei (SNS), Verteidigungsminister und Geheimdienstkoordinator ist,
erstmals ein. Er kämpfte mit harten Bandagen. Berichtet wurden
Schreiduelle mit dem Kosovo-Regierungschef Hashim Thaci, dem er
Tricksereien vorwarf. Er brüskierte die albanische Seite wiederholt,
indem er das Händeschütteln verweigerte. Gleichzeitig formulierte er
hart die «roten Linien» für Serbien.
Der 43-jährige Jurist hat eine bemerkenswerte Häutung vom extremen
Nationalisten zum glühenden Europäer und Demokraten hingelegt. Unter
dem serbischen Autokraten Slobodan Milosevic, der am
UN-Kriegsverbrechertribunal einem Herzinfarkt erlegen war, hatte er
1998 als Informationsminister die in- und ausländischen Medien
drangsaliert. Die Läuterung kam 2008, als er mit dem heutigen
Staatspräsidenten Tomislav Nikolic, lange Jahre der radikale Vormann
von Vucic, die Fortschrittspartei SNS gründete.
Die Wende vom Extremisten zum Pro-Europäer hätte nicht gründlicher
sein können. Nach Berichten aus seinem Umfeld hatte er im Falle eines
Scheiterns der EU-Vermittlung im Kosovo-Problem die Isolation und
wirtschaftliche Katastrophe für sein Land vor Augen. Um das
abzuwenden, wiederholte er gebetsmühlenartig, sein Land müsse auf
Biegen und Brechen ein Datum für die so sehr gewünschten
EU-Beitrittsverhandlungen erhalten. Das war aber nur zu haben, wenn
auch ein Abkommen erreicht wird. Während Regierungschef Ivica Dacic
bereit war, auch die erste äußerst ungünstige Übereinkunft zu
unterzeichnen, setzte Vucic seine Ablehnung für eine verbessertes
Angebot durch.
Vucic, der sich zu Hause mit der Inhaftierung des reichsten Serben
Miroslav Miskovic als Korruptionsbekämpfer einen Namen gemacht hatte,
konzentriert sich jetzt auf die innenpolitische Absegnung des
Brüsseler Kompromisses. Und es gibt schon Erfolge. Staatschef
Nikolic, der sich gern als Hardliner in Sachen Nationalismus gibt,
hat das Abkommen mit einer begrenzten Autonomie für die Landsleute im
Kosovo am Samstag ausdrücklich begrüßt. Regierungschef Dacic ebenso.
Das Ergebnis mit dem serbischen Einfluss auf Polizei und Gerichte sei
die beste Lösung und das Maximum an Zugeständnissen gewesen.
So wird das Abkommen von der serbischen Staatsspitze wohl bis
Montag endgültig angenommen werden. Zwei Baustellen hat Vucic
allerdings noch. In seiner eigenen SNS-Partei gibt es noch viele, die
als ehemalige extreme Nationalisten nicht mitziehen wollen. Das würde
die Spaltung der größten Partei bedeuten. Daneben muss Vucic noch die
Kosovo-Serben überzeugen. Die wollen um keinen Preis ihre neue
Autonomie akzeptieren - weil sie damit doch ein Teil des fast nur
noch von Albanern bewohnten Kosovos werden. Und das scheuen sie wie
der Teufel das Weihwasser.
Seit der Kosovo-Einigung werde er mit Todesdrohungen bombardiert,
sagte Vucic dem serbischen Staatsfernsehen RTS. «Jede Sekunde erhalte
ich eine Mitteilung, dass sie mich umbringen wollen», so Vucic. Auch
seine Familie, die Ehefrau und zwei Kinder, würden in die Drohungen
einbezogen. Serbische Nationalisten hatten die Übereinkunft mit dem
Kosovo als Verrat verurteilt. Aktivisten der Radikalen Partei
verteilten laut RTS Flugblätter mit der Handynummer Vucics auf der
Straße.