Experte: Verfassungsgericht steht vor Dilemma Gespräch: Diana Niedernhöfer, dpa

07.06.2013 08:46

Viel Spielraum bleibt dem Bundesverfassungsgericht nicht, wenn es die
Fragen zur Euro-Rettungspolitik juristisch beantworten will. Denn
jedes denkbare Urteil hätte seine Tücken.

Karlsruhe (dpa) - Das Bundesverfassungsgericht steht vor einer
kaum lösbaren Aufgabe, wenn es nächste Woche über die
Euro-Rettungspolitik verhandelt. «Jede Entscheidung, die das Gericht
später treffen wird, wirft weitere rechtliche und wirtschaftliche
Probleme auf», sagte der Rechtsexperte Oliver Sauer vom Centrum für
Europäische Politik (CEP) im Gespräch mit der dpa.

Im Zentrum der zweitägigen Verhandlung wird die Frage stehen, ob
die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Programm «Outright Monetary
Transactions» (OMT) ihre Kompetenzen überschritten hat. Durch das OMT
können die Währungshüter notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kaufen,
um schwächelnde Länder zu retten.

«Sollten die Richter in dem OMT-Programm eine Verletzung des
deutschen Verfassungsrechts sehen, wäre das einerseits ein deutliches
Signal an die Märkte», sagte Jurist Sauer. Andererseits würde der
Senat damit die EZB nicht wie beabsichtigt von künftigen
Anleihekäufen abhalten, da die europäischen Währungshüter nicht an

deutsches Verfassungsrecht gebunden sind.

Durch einen solchen Richterspruch geriete jedoch die Deutsche
Bundesbank in die Zwickmühle, erklärt Sauer. Denn auch wenn sie den
Kurs der EZB nicht gutheißt, ist die Bundesbank in das Europäische
System der Zentralbanken (ESZB) eingegliedert und damit grundsätzlich
an Weisungen der EZB gebunden. «Die Bundesbank muss sich allerdings
zugleich auch an deutsches Verfassungsrecht halten und dürfte
entsprechenden Weisungen der EZB aus verfassungsrechtlicher Sicht
dann eigentlich nicht Folge leisten.»

Das Gericht könnte auch eine «Ja-aber»-Entscheidungen treffen, wie

es das in der Vergangenheit bei fast allen Urteilen zu Europa und zu
den europäischen Rettungsprogrammen gemacht hat. Die Richter
billigten darin zwar den europäischen Kurs, legten der
Bundesregierung jedoch Fesseln an. So dürfen etwa wichtige
finanzpolitische Fragen nicht am Bundestag vorbei entschieden werden.

«Das Gericht würde bei einer erneuten «Ja-aber»-Entscheidung
freilich an Glaubwürdigkeit und sein Urteil an Durchsetzungskraft
verlieren», gibt Sauer zu bedenken. Außerdem befände sich, abgesehen

von der Frage, wie solche Auflagen konkret aussehen könnten, die
Bundesbank womöglich wieder in dem oben geschilderten Dilemma.

Bleibt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in
Luxemburg. Diese wird zwar oft beschworen, viele Beobachter rechnen
jedoch nicht damit. Eine derartige Anfrage an die Europarichter käme
dann infrage, wenn die EZB aus Sicht der Verfassungshüter ihre
Kompetenzen nach den europäischen Verträgen überschritten hat. «Den

daraus folgenden Verstoß gegen EU-Recht kann dann nur der EuGH
feststellen», sagt Sauer. Doch ein solcher Schritt ist durchaus
heikel, entscheidet der EuGH doch in aller Regel europafreundlich.

«Dann stellt sich die Frage, was das Verfassungsgericht macht,
wenn der EuGH das OMT-Programm unproblematisch findet und sich damit
möglicherweise der Ansicht des deutschen Gerichts entgegenstellt»,
sagt Sauer. Dann müsste Karlsruhe entscheiden, ob der EuGH nicht
seinerseits Kompetenzen überschritten hätte - «eine durchaus sehr
pikante Konstellation», wie Sauer hinzufügt.