Gericht zieht Schlussstrich unter Streit um VW-Gesetz Von Heiko Lossie und Marion Trimborn, dpa

22.10.2013 17:23

Das VW-Gesetz war jahrelang ein Zankapfel. Es ging um die Freiheit
von Investoren, den Einfluss der Politik und auch um Deutschlands
Vergangenheit. Nun steht ein Schlussstrich unter dem Kapitel.

Brüssel/Wolfsburg (dpa) - Das schon 1960 verabschiedete VW-Gesetz
hat immer wieder für Ärger gesorgt. Die EU vergrätzte Berlin seit
Jahren mit Klagen gegen die Sonderregeln. Nun sprach der Europäische
Gerichtshof (EuGH) ein Machtwort. Fragen und Antworten zum Thema:

Was hat es mit dem VW-Gesetz auf sich?

Es ist über 50 Jahre alt und sichert dem Land Niedersachsen als
20-prozentigem Anteilseigner ein Vetorecht. Die Sonderregelung stellt
sich gegen die gängige Gesetzeslage, wonach in Aktiengesellschaften
normalerweise Dreiviertelmehrheiten - also 75 Prozent - für zentrale
Entscheidungen ausreichen. Neben der Blockadeerlaubnis für das Land
hat auch die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat mehr Macht als üblich.

Warum ist die aktuelle Entscheidung so wichtig?

Der EuGH zog mit dem Urteil einen Schlussstrich unter die seit
Jahren schwelende Auseinandersetzung. Nach Ansicht der Richter hat
die Bundesregierung das VW-Gesetz nach einem früheren EU-Urteil von
2007 bereits «in vollem Umfang» und rechtzeitig nachgebessert. Die
klagende EU-Kommission lenkt nun ein und akzeptiert die Entscheidung.

Wo hat der Sonderweg VW-Gesetz überhaupt seinen Ursprung?

Die Nazis trieben den Aufbau des Volkswagen-Werks in Wolfsburg als
zentrales Projekt voran - und nutzten dazu enteignetes Vermögen der
Gewerkschaften. Nach dem Krieg drohte VW das Aus, doch am Ende ließen
die Alliierten den Autobauer zum Wohle Deutschlands weiterlaufen. Sie
legten den Konzern in die öffentliche Hand, VW sollte auf Jahrzehnte
Jobs und Wohlstand bringen. Diesen Wurzeln trägt das VW-Gesetz mit
seinen Sonderrechten für Niedersachsen auch noch heute Rechnung.

Hatte VW für den Fall einer Niederlage vor dem EuGH schon vorgesorgt?

Ja, denn neben dem VW-Gesetz gibt es auch noch die VW-Satzung, die
sich die Aktionäre selbst gaben und die wie eine doppelte Sicherung
wirkt. Zudem ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass Konzerne vom
Veto-Standardwert 25 Prozent abweichen. Der VW-Großaktionär Porsche
SE zum Beispiel hat 33,3 Prozent in seiner Satzung verankert. «Es
gibt in Deutschland zahlreiche Unternehmen, bei denen die
Sperrminorität, wie im Aktiengesetz erlaubt, von dem Standardwert 25
Prozent abweicht», erklärt NordLB-Analyst Frank Schwope.

Wie rechtfertigen Gewerkschaften und VW das VW-Gesetz?

IG-Metall-Chef Berthold Huber sagte einmal, das VW-Gesetz sei ein
sehr gutes Argument für mehr Mitbestimmung: «Mit einem VW-Gesetz und
dessen Beschränkungen bei Standortverlagerungen hätten weder
AEG/Electrolux in Nürnberg noch Nokia in Bochum dem Shareholder-
Kapitalismus geopfert werden müssen.» Niedersachsens Macht lässt VW
auch für «Heuschrecken»-Investoren unattraktiver erscheinen. Dass das

Land als Ankeraktionär wie ein Fels in der Brandung wirken kann,
zeigte sich etwa beim gescheiterten Übernahmeversuch von Porsche. Für
Betriebsratschef Bernd Osterloh ist das VW-Gesetz eine Regelung, die
gegen «die einseitige Ideologie des freien Kapitalmarktes» geschützt

werden muss. Sie hält fest, dass Entscheidungen wie Verlagerungen in
Billiglohnländer ohne die Zustimmung der Arbeitnehmerseite scheitern.

Was hatte die EU-Kommission eigentlich gegen das Vetorecht?

Ihr Argument: Der Staat beschränkt damit den freien Kapitalverkehr
in der EU, also Beteiligungen oder Übernahmen. Dies verstoße gegen
europäisches Recht. Potenzielle Investoren würden abgeschreckt,
Innovationen blieben aus, und es würden keine neuen Jobs entstehen.

Wie stand die Bundesregierung dazu?

Berlin sah sich immer im Recht. Für die Sonderregelung hatte sich
seinerzeit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stark gemacht.
Ihre Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) freut
sich über das jüngste EuGH-Urteil. «Der Volkswagen-Konzern kann nun
seine erfolgreiche Arbeit in Ruhe fortsetzen», sagte sie am Dienstag.

Ist jetzt endlich Ruhe?

Das sollte man zumindest meinen. «Das heutige Urteil hat die Sache
zu einem Ende gebracht», ließ EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier
erklären. Theoretisch ist jedoch noch ein Hintertürchen offen. Denn
die Frage, ob Niedersachsens Sperrminorität für sich genommen gegen
EU-Recht verstößt, ist noch unklar. Der EuGH untersuchte nur, ob
Deutschland dem geforderten Gesamtpaket von Änderungen nachkam - und
nicht, ob jeder Passus aus dem Paket isoliert betrachtet legal ist.