Karlsruhe prüft: Wie viel Sperrklausel braucht das Europaparlament? Von Diana Niedernhöfer,

18.12.2013 17:43

Rechtfertigen die Verhältnisse im Europaparlament eine
Drei-Prozent-Sperre? Das prüft das Bundesverfassungsgericht seit
Mittwoch. Die Richter zeigen sich skeptisch.

Karlsruhe (dpa) - Wohl selten waren sich die kleinen Parteien so
einig: Mit der Drei-Prozent-Sperre bei den Europawahlen sollen sie
benachteiligt werden, sichern die großen Parteien sich Pfründe.

Seit Mittwoch prüft das Bundesverfassungsgericht die seit Oktober
geltende Klausel, die bereits bei der nächsten Europawahl im Mai 2014
gelten soll. Geklagt haben mehrere kleine Parteien
unterschiedlichster Ausrichtung. So sind unter den Klägern etwa die
ÖDP, die Freien Wähler, die Freiheit, die Piratenpartei, aber auch
die rechtsextreme NPD. Außerdem haben mit dem Verein «Mehr
Demokratie» 1099 Bürger geklagt.

Im Kern geht es ihnen darum, dass bei einer derartigen Klausel
Millionen Wählerstimmen unter den Tisch fallen. Das schmälere die
Chancen der Kleinparteien und erhöhe die Wahlverdrossenheit der
Wähler, sagte Sascha Giller für «Die Freiheit». Die Stimmen kämen

dann Parteien zugute, die den Sprung ins Parlament geschafft haben.
Bei der letzten EU-Wahl 2009 seien Kleinparteien durch die damals
noch geltende Fünf-Prozent-Klausel 10,8 Prozent der Stimmen verloren
gegangen, rechnet der Verein «Mehr Demokratie» vor.

Im Zentrum der eintägigen Verhandlung stand das Europäische
Parlament mit seinen derzeit 162 Parteien. «Jede Sperrklausel stellt
einen Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der
Parteien dar», stellte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle gleich zu
Beginn der Verhandlung klar. Ein solcher Eingriff müsse
gerechtfertigt sein.

2011 hatten die Richter eine solche Rechtfertigung nicht gefunden
und die bis dahin geltende Fünf-Prozent-Sperre gekippt. Das
Europaparlament könne auch mit vielen Parteien funktionieren, lautete
die Argumentation damals. Ob diese Einschätzung mit der heutigen
Parlamentsrealität noch übereinstimmt, wollten die Richter vor allem
von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wissen.

Dieser sprach sich für eine Hürde aus. Das Parlament habe mehr
Befugnisse etwa bei der Wahl des Präsidenten der EU-Kommission. Das
Parlament sei auf stabile Mehrheiten angewiesen. Aber: «Die
Mehrheiten werden knapper», sagte Schulz. Denn die Abgeordneten
stünden bei wichtigen Vorhaben wie etwa der Bankenregulierung in
ihren eigenen Ländern unter höherem Rechtfertigungsdruck. Zum anderen
finde nicht jede Fraktion eine «Parteienfamilie», der sie sich
anschließen könne, was die Arbeit insgesamt erschwere.

Die Richter zeigten sich skeptisch. Ob er die Leistungskraft des
Europaparlaments nicht optimistischer beurteilen könne, fragte etwa
Gerichtspräsident Voßkuhle. Der Berichterstatter des Verfahrens,
Michael Gerhard, hatte zuvor mehrfach geäußert, er sehe keine
Änderungen, die eine neue Sperre rechtfertigten.

Der Bundestags-Vertreter zeigte auf die anderen Mitgliedsstaaten:
«Wir sind umgeben von Ländern, in denen Sie unter drei Prozent
praktisch kein Mandat im Europaparlament erhalten», sagte Christopher
Lenz. Es sei ein Problem, wenn das EU-Parlament bei wichtigen Fragen
wie etwa dem Haushalt wegen Zersplitterung nicht handeln könne, warb
auch Volker Beck (Grüne) für die Sperrklausel. «Wir wollten diese
Defizite beseitigen.

Die Kläger sehen sich dennoch gleich mehrfach benachteiligt:
«Unter dem Damoklesschwert der Sperrklausel fällt es den
Kleinparteien schwer, geeignete Kandidaten oder Unterstützer zu
finden», sagte der Vertreter der ÖDP und der Freien Wähler (FW), Hans

Herbert von Arnim. Dabei hätten Deutschlands Wählerstimmen sowieso
schon einen geringeren Wert als die anderer Länder: So bräuchten
Parteien in Estland oder Zypern 35 000 Stimmen, um die drei Prozent
zu knacken, deutsche Parteien dagegen 790 000.

Das Gericht wird sein Urteil erst im nächsten Jahr verkünden. Es
ist zu erwarten, dass dies noch vor der Europawahl im Mai 2014
geschieht.