«Wenn es darauf ankommt» - Merkel und die einfache Sprache Von Kristina Dunz, dpa

09.02.2014 10:59

Umstrittener Schatzmeister weg, Stiche gegen den eigenen
Wirtschaftsflügel und eine Kampfansage an die SPD - die Kanzlerin
kann auch anders.

Erfurt (dpa) - Eine einfache, verständliche Sprache rät
Wahlforscher Matthias Jung der CDU-Führungsriege, die gerade ein 77
Seiten dickes Europawahlprogramm beschlossen hat. Vom TTIP ist darin
etwa die Rede und vom REFIT-Programm - der Parteivorstand unter
Kanzlerin Angela Merkel erklärt in dem Papier auch alles ausführlich.
Doch mit der nötigen Kürze für die vielzitierte Würze hat es nicht

geklappt. Wer die ganzen 77 Seiten lesen soll? Hoffentlich zumindest
die Bundesvorstandsmitglieder, heißt es selbstironisch.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber muss für den Wahlkampf nun
einfache Formeln finden. Ein hartes Stück Arbeit, denn vieles, was
die Europäische Union macht und plant, ist schwere Kost. TTIP, das
ist die geplante Transatlantische Handels- und
Investitionspartnerschaft, man könnte auch sagen ein
Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Die CDU wirbt für TTIP trotz
der skandalösen Abhörpraxis der US-Geheimdienstaffäre, die
Wirtschaftsspionage nicht ausschließt.

Für Wahlprogramme interessiere sich aber sowieso kein Mensch,
heißt es noch bei der Vorstandsklausur am Samstag in Erfurt. Was
zählt, seien beliebte Politiker. Insofern habe die Partei mit ihrem
Spitzenkandidaten für die Europawahl die richtige Wahl getroffen. Der
frühere CDU-Ministerpräsident David McAllister ist trotz seiner
Niederlage bei der Landtagswahl in Niedersachsen vor einem Jahr laut
Umfragen dort immer noch der beliebteste Politiker.

Doch gegen den erfahrenen SPD-Kandidaten und
EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz setzt die Union auch auf den
Luxemburger Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat aller
konservativen Parteien in Europa. Überraschend deutlich sprach sich
Merkel für ihn aus. In Deutschland wird aber sie selbst vorderste
Wahlkämpferin sein.

Merkel hat sich einige Wochen angeschaut, wie sich die SPD in der
neuen Koalition profiliert. Sie hat die Sozialdemokraten erst einmal
machen lassen. So lange, bis in der eigenen Partei Unbehagen aufkam,
ob die CDU nicht langsam mal gegenhalten müsse. Die SPD sei so
koordiniert gestartet, wie es die Union nie gewesen sei, meint ein
CDU-Abgeordneter. Am Ende erkennen die Menschen noch, dass die
Sozialdemokraten wirklich regieren können, sagt er mit einer Mischung
aus Spaß und Ernst.

Nur nicht nervös werden - das rät der Chef der Forschungsgruppe
Wahlen der CDU aber auch noch. Alles zu seiner Zeit, meint Jung. Die
Umfragewerte für die CDU sind ja auch trotz der Zurückhaltung gut. In
Vorstandskreisen wird nun diese Strategie diskutiert: Die SPD soll
sich an Rentenverbesserungen und Energiewende abarbeiten, und die
Union kommt dann mit einer Art Agenda 2020, die Impulse für die
Wirtschaft und die soziale Sicherheit bringen.

Allerdings hat sich etwas in der Beliebtheitsskala verändert.
Erstmals seit zwei Jahren musste Merkel im ARD-«Deutschlandtrend»
ihren Spitzenplatz in der Liste der beliebtesten Politiker abgeben.
Ganz oben steht jetzt Außenminister Frank-Walter Steinmeier - SPD.

Nun hat Merkel in Erfurt so etwas wie eine Kampfansage gemacht.
Die Union soll jetzt wieder ihr wirtschaftspolitisches Profil
stärken, sich aber genauso um soziale Themen kümmern - um die der
SPD. Merkels Stellvertreter Julia Klöckner, Armin Laschet und Thomas
Strobl sollen nun Themengebiete beackern, die im Kabinett bei der SPD
liegen.

«Wenn Sie in der Umgebung von 40 Prozent Stimmen bekommen wollen,
dann müssen Sie diese beiden Dinge gleichermaßen haben.» Damit reibt

Merkel auch dem gegen soziale Projekte oft aufbegehrenden CDU-
Wirtschaftsflügel unter die Nase, dass eine Volkspartei allein mit
Wirtschafts- und Industriepolitik kaum 41,5 Prozent erreicht, wie es
die Union bei der Bundestagswahl schaffte. Und wie sehr es Merkel
bereits jetzt ums Siegen auch bei der Wahl 2017 geht, zeigt diese
Bemerkung: In den ersten Jahren der Legislaturperiode müssen die
programmatischen Weichen für die nächste Wahl gestellt werden.

Einfache Sprache. Ob ihr das schwerfalle, wird Merkel gefragt.
«Mir? Ich glaube nicht. Wenn es darauf ankommt, nicht», sagt sie. So
hat sie offensichtlich auch ihrem Schatzmeister Helmut Linssen
erklärt, dass er sein Amt wegen einer dubiosen privaten Geldanlage
aufgeben muss.

Merkel war es, die 1999 als damalige Generalsekretärin die Partei
in der Spendenaffäre aufforderte, sich von Altkanzler Helmut Kohl zu
lösen. Linssen habe kein CDU-Geld undurchsichtig angelegt, versichert
sie nun - und betont dennoch: «Es gab jetzt diese Notwendigkeit
dieses Schrittes, und deswegen hab' ich ihn auch respektiert.» Klare
Sprache. Nur eine Aussprache darüber gab es in Erfurt nicht.