Industrie bangt um Stromrabatte - Alu-Hütte müsste schließen Von Rolf Schraa, dpa

24.02.2014 12:10

Eine einzige Fabrik verbraucht so viel Strom wie mehrere Großstädte -
und wäre nach Einschätzung der Betreiber ohne Rabatte sofort pleite.
Großverbraucher wie das Trimet-Aluminiumwerk in Essen bangen um die
deutschen Nachlässe. Aber es gibt auch Kritik - nicht nur von der EU.

Essen (dpa) - Wenn Haushaltsstrom aus der Steckdose ein schmales
Rinnsal ist, dann fließt hier ein gewaltiger Fluss - lautlos, aber
mit brachialer Kraft. Im Essener Werk des Aluminium-Herstellers
Trimet erhitzt 160 000 bis 170 000 Ampere starker Strom riesige
Metallmengen auf fast 1000 Grad Celsius. 240 000 Tonnen des teuren
und in der Autoindustrie begehrten Leichtmetalls produziert die
Fabrik im Stadtteil Bergeborbeck im Dreischichtbetrieb jedes Jahr.

Trimet Aluminium zählt zusammen mit der Bahn zu Deutschlands
größten Stromverbrauchern und ist damit besonders stark auf die
Strompreisrabatte angewiesen. Beim extrem energieaufwendigen Prozess
der Aluminium-Herstellung entfällt allein auf die zwei Hütten des
Unternehmens in Essen und Hamburg rund ein Prozent des nationalen
Stromverbrauchs. Beide Standorte beschäftigen gemeinsam rund 1000
Menschen.

250 Millionen Euro gibt die Firma für den Strom pro Jahr aus -
dabei profitiert die Aluminiumschmiede wegen des extrem hohen
Verbrauchs schon seit 2003 von Strompreisnachlässen und ist von der
EEG-Umlage fast völlig ausgenommen. Wenn der Rabatt wegfiele, würden
sich die Stromkosten in etwa verdoppeln, sagt Trimet-Gründer
Heinz-Peter Schlüter: «Das zu bezahlen, wäre für uns völlig
illusorisch.» Die Alu-Hütte müsste sofort schließen.

Das Beihilfeverfahren der EU wegen der deutschen Strompreisrabatte
für die Industrie sieht Schlüter deshalb mit großer Sorge. «Wir sin
d
erleichtert, dass EU-Kommissar Almunia für Stahl, Aluminium und Zink
auch weiter Ausnahmen befürwortet hat», sagt er. Aber wenn die
deutsche Regierung zugleich Kappungen der EEG-Rabatte um eine
Milliarde Euro in Aussicht stelle, müsse es ja irgendwen treffen.
«Hoffentlich nicht uns - wir haben keinen Spielraum nach unten.»

Kritiker machen dagegen eine andere Rechnung auf. Die
Börsenstrompreise seien unter anderem durch die Energiewende
erheblich auf unter 40 Euro pro Megawattstunde gefallen, sagt der
Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW, Jan
Dobertin. Davon profitiere Trimet wie andere deutsche
Großverbraucher. Unternehmen, die die EEG-Befreiung bekämen, zahlten
unter dem Strich teils sogar weniger als ihre EU-Konkurrenten für den
Strom, sagt Dobertin. Die Pleite der niederländischen Aluminium-Hütte
Aldel mit 300 Beschäftigten zum Jahresbeginn sei daher in der Branche
auch auf die günstigen deutschen Strompreise zurückgeführt worden.

Dabei gibt es natürlich auch in den Niederlanden Fördertöpfe für

die stromintensive Industrie. In dem internationalen
Regulierungswirrwarr haben selbst Fachleute oft Probleme, den
Durchblick zu behalten. Sicher ist, dass die ganze Branche zu kämpfen
hat - und dass auch Trimet mit weniger als zwei Millionen Euro Gewinn
bei 1,2 Milliarden Euro Umsatz hart an der Kante fährt und
empfindlich auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren würde.

Schlüter betont, dass er mit dem Werk auf keinen Fall weg will -
schon weil der Neubau einer Hütte der Essener Größenordnung 750
Millionen Euro oder mehr kosten würde. Außerdem säßen mehr als 80
Prozent der Kunden im Umkreis von 200 Kilometern. Nordrhein-Westfalen
ist Aluminium-Land mit dem größten Alu-Walzwerk der Welt in Neuss,
vielen weiterverarbeitenden Betrieben etwa für Fensterprofile oder
Autobleche und mehr als 100 000 Jobs in der gesamten Branche.

Statt ins Ausland zu gehen, beteiligt Schlüter sich mit seinen
Riesen-Stromverbrauchern an der Lösung eines Kernproblems der
Energiewende: den Produktionsschwankungen der erneuerbaren Energien
und den bisher fehlenden Stromspeichern. Das Unternehmen will in
Essen überschüssigen Sonnen- und Windstrom in einer «virtuellen
Batterie» an den Alu-Öfen speichern.

Dabei werde die Aluminium-Produktion in den Öfen kurzfristig
hochgefahren und könne auf Knopfdruck wieder gedrosselt werden - bis
zu 200 Megawatt ließen sich so zwischenspeichern. Ende des Jahres
startet ein Versuchsbetrieb, bis 2017 könnte die Aluminium-Fabrik
zugleich ein riesiger Stromspeicher werden.