Oettinger: Kein «digital native», aber ein versierter Politiker Von Martina Herzog, dpa
10.09.2014 17:17
Seit fünf Jahren ist Oettinger EU-Kommissar, nun muss er das Feld
wechseln: Digital statt Energie. Trotz des Machtverlustes beteuert
Oettinger, er sei «glücklich» und «motiviert». Um die neuesten Tr
ends
aus dem Netz aufzuspüren, hofft er auf familiäre Hilfe.
Brüssel (dpa) - Vom unterschätzten Neuling zum geachteten
Wirtschaftspolitiker: Günther Oettinger hat sich in seinen bald fünf
Jahren als EU-Energiekommissar in Brüssel Achtung verschafft. Nun
behält er den Arbeitgeber, wechselt aber den Job - Oettinger wird
zuständig für Digitalwirtschaft. Eingedenk der Tatsache, dass er mit
Andrus Ansip aus Estland von einem Vizepräsidenten der EU-Kommission
überwacht wird, ist das ein Machtverlust.
Oettinger selbst kann das nicht wegreden, beteuert aber mit Blick auf
seine neue Aufgabe, er sei «glücklich» und «motiviert». Als er v
or
fünf Jahren als Energiekommissar angetreten sei, habe das Ressort
auch als Nebenschauplatz gegolten. «Sagt heute keiner mehr.» In der
«hochkarätig» besetzten neuen EU-Kommission seien fünf ehemalige
Regierungschefs vertreten. «Und deshalb muss man da mit einer
gewissen Demut rangehen», kommentierte er die Ressortverteilung.
Eins seiner Ziele ist die Stärkung der europäischen Telekombranche
gegenüber der Konkurrenz aus den USA oder Fernost. «Es geht um die
Frage, wie wir Europa im Wettbewerb fit machen», sagt Oettinger. Ein
«digital native», also ein Ureinwohner der digitalen Welt, ist er
nicht gerade. Das gesteht der 60-Jährige selbst ein. «Aber von den
Kommissaren ist keiner jünger als 25.» Wenn es um neueste Netztrends
gehe, sei auch sein 16-jähriger Sohn gefragt. «Der wird mein
ehrenamtlicher Advisor werden, vermute ich», scherzt Oettinger in
Brüssel.
Im Brüsseler EU-Biotop hingegen bewegt sich der ehemalige
baden-württembergische Ministerpräsident mittlerweile wie ein Fisch
im Wasser. Auf abendlichen Empfängen aus Politik und Wirtschaft ist
er ein gefragter Redner. Ganz anders 2010: In Brüssel fiel er
zunächst durch eigenwilliges Englisch auf («In my homeland
Baden-Württemberg we are all sitting in one boat»).
Zudem hieß es, CDU-Chefin Angela Merkel habe ihn nach Brüssel
geschickt, um einen weiteren Konkurrenten auf Abstand zu halten.
Allerdings hatte Oettinger, der 14 Jahre an der CDU-Fraktionsspitze
im Ländle und dort seit 2005 Regierungschef war, zuvor ein dürftiges
Bundestagswahlergebnis eingefahren. Und er hatte den einstigen
NS-Marinerichter, Ex-Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU), in einer
Trauerrede zum Nazigegner erklärt.
Inzwischen hat sich Oettinger auf EU-Ebene Respekt erworben, quasi
learning by doing, vor allem in den vergangenen Monaten durch seine
Vermittlungsbemühungen zwischen Russland und der Ukraine im Streit um
die Gaslieferungen. Seine Energiepolitik richtet er zwar in Teilen
daran aus, Klimaschutz und erneuerbare Energien zu fördern - oberstes
Gebot bleibt aber, der Industrie nicht zu schaden.
Die Grünen im EU-Parlament nennen ihn deshalb einen
«Anti-Modernisierer». Dabei galt er in seiner Zeit in
Baden-Württemberg als Schwarz-Grüner. Wenn das Europaparlament
zustimmt, beginnt seine neue Amtszeit in Brüssel am 1. November.
# Notizblock
## Internet
- [Oettingers Homepage bei der EU-Kommission](http://dpaq.de/Hs4B6)
## Orte
- [CDU-Zentrale](Klingelhöferstraße 8, 10785 Berlin, Deutschland)
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