Krimi in Rumäniens Urwäldern - Paradies wird abgeholzt von Kathrin Lauer, dpa
15.05.2015 12:23
Holz ist in Rumänien ein hochpolitisches Thema. Wegen legaler und
illegaler Abholzung droht ein ganzes Naturparadies zu verschwinden.
Es geht auch um wirtschaftlichen Druck.
Toplita/Campeni/Comanesti/Gheorgheni (dpa) - Frische, klare Spuren
eines jungen Bären zeichnen sich an diesem Morgen im Mai auf dem
weichen Waldboden ab. Angst brauchen Wanderer im Naturpark Apuseni
aber nicht zu haben, denn die wilden Tiere suchen in dieser vom
Massentourismus verschonten Region das Weite, wenn sie Menschen auch
nur riechen. Angst hat der Bauer, der die Reporterin der Deutschen
Presse-Agentur zu einer abgeholzten Fläche führt, trotzdem. Aber
nicht vor Bären, sondern vor der Holzmafia. Er will seinen Namen
nicht gedruckt sehen, weil die Polizei gegen ihn und andere Bauern
ermittelte, nachdem sie vor einem Jahr aus Protest gegen die Rodungen
Holztransporte blockiert hatten. Die Ermittlungen wurden eingestellt,
aber die Verunsicherung bleibt.
In Rumäniens Wäldern geht es zu wie in einem Krimi. Von den 6,6
Millionen Hektar Wald verschwinden nach Schätzung von Greenpeace
stündlich drei Hektar. Seit der Wende vor 25 Jahren wurden es nach
Angaben des rumänischen Rechnungshofs fast 400 000 Hektar weniger.
Etwa die Hälfte des Bestandes befindet sich in Privatbesitz, nachdem
Flächen, die von den Kommunisten enteignet worden waren, an die
früheren Besitzer oder deren Nachkommen zurückgegeben wurden.
Der frühere Polizist Florin Cadar ist nur um die Neujahrszeit zu
Hause im siebenbürgischen Toplita anzutreffen. Das liegt daran, dass
er in einem Schlachthof im fernen Norddeutschland arbeiten muss. Es
ist der bittere Preis dafür, dass er sich früher als Polizist mit der
Holz-Mafia anlegte, wie er sagt. Er habe nämlich konsequent alle
illegalen Wald-Rodungen in seinem Revier angezeigt - etwa zehn bis 20
Fälle im Jahr. Das brachte ihm Ärger mit den Vorgesetzten ein. Diese
arbeiteten mit den Holzdieben zusammen, sagt Cadar. Ein Bericht des
Umweltaktivisten Hans Hedrich gibt ihm recht.
2010 wurde Cadar wegen Diebstahls von sechs Baumstämmen zu zwei
Jahren Haft verurteilt. Aufgrund gekaufter Zeugenaussagen, wie er
sagt. Als er ein Jahr abgesessen hatte, bescheinigte ihm die
Forstverwaltung, dass es den betreffenden Diebstahl gar nicht gegeben
habe. Seine Ehefrau legte das entsprechende Dokument bei Gericht vor.
Daraufhin bekam sie Drohanrufe von Unbekannten, die verlangten, sie
solle das Papier wieder zurückziehen. Sie tat es nicht. Einen Tag
später brannte Cadars Garage samt Auto. Wer die Brandstifter waren,
blieb unklar.
Cadar kam zwar vorzeitig frei, seinen Job bei der Polizei bekam er
aber nicht zurück. «Ich habe gesehen, wie das Schmiergeld in weißen
Bastsäcken gebracht wurde. Polizisten und Förster sind reich
geworden. Früher hatten sie nicht einmal Geld für Zigaretten, heute
fahren sie BMWs», sagt er.
Umweltschützer werfen der österreichische Firma Holzindustrie
Schweighofer vor, den Anreiz für das massive illegale Abholzen
geschaffen zu haben. Die Firma ist in Rumänien seit 2002 präsent,
kauft das meiste Nadelholz auf und zahlt am besten dafür. Vor kurzem
veröffentlichte die US-Umweltschutzorganisation EIA ein Video, das
belegen soll, dass Schweighofer in Rumänien illegal geschlagenes Holz
kaufe. Der EIA-Chef Alexander von Bismarck hatte sich gegenüber
Mitarbeitern von Schweighofer als Holzhändler ausgegeben, der schwarz
gefällte Bäume zu verkaufen habe. Er filmte diese Gespräche mit
versteckter Kamera. Es war nicht der erste derartige Coup des
weltweit aktiven Bismarck. Schweighofer wies die Vorwürfe zurück,
bezeichnete die Video-Ausschnitte als «aus dem Zusammenhang gerissen»
- versprach aber zugleich interne Kontrollen und suspendierte einen
der verdächtigen Mitarbeiter vom Dienst.
«Bei uns ist die Überprüfung der Herkunft des Holzes nicht nur eine
Verpflichtung, sondern geradezu eine Religion». Gleich zweimal sagt
Dan Banacu diesen Satz. Er ist Direktor der Schweighofer-Fabrik im
ostrumänischen Comanesti. Hier stellen 750 Angestellte aus
Tannenholz-Resten Tischlerplatten her, wie man sie von Ikea-Regalen
kennt. Jeder Holzstapel trägt ein Etikett mit einem Code, über den
man laut der Firma die Herkunft des Materials zurückverfolgen kann.
Rund 80 Prozent der Produktion wird exportiert, darunter auch in die
USA, nach Japan und Saudi-Arabien. Fünf Fabriken hat die Firma in
Rumänien, die letzte wurde vor kurzem im siebenbürgischen Reci
gebaut. Das Unternehmen auf Expansionskurs beschäftigt in Rumänien
2500 Menschen, durch die neue Fabrik sollen es rund 3150 werden.
Die Firma schmückt sich mit dem FSC-Zertifikat, das
Umweltschutzvereine Holzfirmen verleihen, die nicht nur die Gesetze
respektieren, sondern auch weitere Umwelt-Auflagen erfüllen. Ob
Schweighofer nach den EIA-Vorwürfen das FSC-Zertifikat behält, solle
nun geprüft werden, teilte die dafür zuständige, in Großbritannien
ansässige Soil Association auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur
mit.
Der Fall Schweighofer ist in Rumänien seit Monaten ein heiß
umkämpftes Politikum. Staatspräsident Klaus Iohannis hat im März
dieses Jahres ein neues Forstgesetz, das Schweighofer benachteiligt,
zur Neuberatung an das Parlament zurückgeschickt. Darin ist
vorgesehen, dass eine einzelne Firma nicht mehr als 30 Prozent des
legal verfügbaren Bestands einer Baumspezies verarbeiten darf. Das
reicht aber nicht zur Auslastung von Schweighofers
Verarbeitungskapazitäten, die doppelte Menge wäre nötig. Bisher hat
die Firma in Rumänien auch Holz aus Polen, der Ukraine und Russland
verarbeitet. Nun aber will sogar die krisengeschüttelte Ukraine den
Holzexport schrittweise ab 2016 und 2017 verbieten - ein bereits
beschlossenes Gesetz wartet nur noch auf die Unterschrift des
Staatschefs in Kiew.
Aus Sorge um die Verfügbarkeit von Holz hatten Schweighofer und die
österreichische Botschaft im Herbst 2014 in Briefen an die
sozialistische Regierung Rumäniens gegen den Gesetzesentwurf
protestiert. Ihr Argument, das auch Präsident Iohannis sich zu eigen
machte: Die Begrenzung der Holzquote für die Unternehmen verletze das
EU-Wettbewerbsrecht. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur wollte
sich bei der EU-Kommission niemand dazu äußern. Allerdings will die
Kommission den Gesetzesentwurf untersuchen, wie es am Freitag aus
Brüssel hieß.
Mit seinem scheinbaren Einsatz für Schweighofer hat der bisher sehr
beliebte Staatschef Iohannis Sympathien eingebüßt. «Wir haben
Iohannis vertraut, aber er hat uns verraten», sagt der
Holzunternehmer Dragomir Morcan aus dem westrumänischen Campeni.
Früher hatte Morcan 20 Angestellte, jetzt nur noch zwei. Das liege
daran, dass Schweighofer so gut wie das ganze Holz aufkaufe und die
Preise in die Höhe getrieben habe. Drei kleinen Möbelfabriken aus
Campeni mit insgesamt 500 Angestellten droht das Aus, weil sie sich
das Nadelholz, das jetzt doppelt so teuer ist wie vor zehn Jahren,
kaum noch leisten können. Diese drei Unternehmen konsumieren zusammen
pro Jahr weniger Holz als Schweighofer in der neuen Fabrik an einem
Tag verarbeiten wird.
Campeni ist das Herz der strukturschwachen Region im
Apuseni-Gebirge. Außer Bergbau, Vieh- und Holzwirtschaft in kleinem
Stil gab es hier jahrhundertelang nichts. Der Bergbau ist im
Niedergang und vor einem Jahr hat die Regierung den kleinen Bauern
auch noch den Zugang zum Holz versperrt. Sie schaffte eine speziell
in der Apuseni-Region geltende Regelung ab, der zufolge die
Bauernfamilien im Staatsforst jeweils bis zu 15 Kubikmeter Holz pro
Jahr fällen durften und dafür nur die Hälfte des Marktpreises
bezahlen mussten.
Dieses Holz diente dem traditionellen Handwerk: Es wurde zu Fässern,
Zubern, Zäunen und Geschirr verarbeitet. Schon die Habsburger, zu
deren Reich diese Region bis 1918 gehörte, hatten sich mit dieser
Regelung die Loyalität der Apuseni-Bauern gesichert. Jetzt darf hier
keine Privatperson auch nur einen Ast aus dem Wald holen. Die vielen
kleinen Sägewerke an den Hängen der Apuseni sind verwaist, während
Karawanen von Lastwagen mit hochmodernen Kränen das Holz in die
Fabriken der Großunternehmen bringen.
Zwar gibt es Bemühungen, den Holzdiebstahl unter Kontrolle zu
bekommen. Seit Herbst 2014 müssen Holztransporte digital registriert
werden. Jedermann kann über den Notruf «112» mit Baumstämmen belade
ne
Lastwagen melden und auf elektronischem Wege prüfen lassen. Tausende
Anzeigen gingen daraufhin ein, doch kaum eine führte zu
strafrechtlichen Konsequenzen. Außerdem kann auch dieses System nicht
verhindern, dass korrupte Beamte für illegal geschlagenes Holz
digitale Transportgenehmigungen erteilen.
Der Umweltschützer Gabriel Paun vom Verein «Agent Green» stellt fast
wöchentlich neue Videoberichte über aktuelle illegale Rodungen ins
Netz, darunter auch aus dem Urwald des Naturparks im südwestlichen
Retezat-Gebirge. In einem dieser Filme taucht ein Informant von Paun
auf, ein Förster. Obwohl sein Gesicht unkenntlich gemacht wurde,
hätten ihn seine Kollegen erkannt und ihm «Verrat» vorgeworfen,
erzählt der Mann der Deutschen Presse-Agentur. Er habe nun allen Mut
verloren.
Mulmig zumute ist auch Dezsö Garda im siebenbürgischen Gheorgheni,
dem Haupt-Siedlungsgebiet der ungarischen Minderheit in Rumänien. Der
frühere Abgeordnete der Ungarn-Partei UDMR hat sein ganzes
Politikerleben der Waldproblematik gewidmet - und ist dafür, wie er
sagt, aus seiner Partei hinausgeekelt worden. Beim Treffen in einem
Café flüstert er plötzlich unruhig: «Wir müssen woanders hingehen
,
die Leute am Nebentisch sind Mafiosi. Sie beobachten uns.» Er hat vor
Jahren einen schweren Autounfall überlebt - Ursache waren
Manipulationen an der Steuerung seines Dienstwagens. Garda vermutet
die Holzmafia dahinter. Geklärt wurde es nie.
Garda stellte mehr als 200 parlamentarische Anfragen, die kriminelle
Rodungen und dubiose Wald-Restitutionen betrafen. Holz ist
hochpolitisch. Sogar für den ethnischen Frieden in Rumänien spielt es
eine Rolle. Die rumänischen und ungarisch-stämmigen Mafiosi würden -
mit politischer Unterstützung - einträchtig vom illegalen Kahlschlag
profitieren, sagt Garda. «Immer war die Besetzung der Chefposten der
Forstämter eines der wichtigsten Themen bei Koalitionsverhandlungen
zwischen UDMR und den rumänischen Partnern.» Von 1996 bis 2014
regierte die Ungarn-Partei UDMR fast lückenlos in Bukarest mit und
war wegen knapper Mehrheitsverhältnisse stets ein heftig umworbener
Koalitionspartner.
Schwere Vorwürfe gegen die staatliche Forst-Holding Romsilva erhebt
auch der Vorsitzende des Vereins der Waldbesitzer «Nostra Silva»,
Rechtsanwalt Bogdan Tudor: «Romsilva ist durch und durch politisiert.
Das dort ankommende Schmiergeld fließt in den Wahlkampf der
Parteien.» Der Präsident von Romsilva, Adam Craciunescu, steht
derzeit wegen Beihilfe zu illegalen Wald-Restitutionen vor Gericht -
zusammen mit einflussreichen sozialistischen Politikern. Deren
Parteifreund, Ministerpräsident Victor Ponta, denkt gar nicht daran,
den Romsilva-Chef abzusetzen.