«Grexit auf Zeit» - Wie sähe das aus? Von Holger Göpel, dpa
12.07.2015 14:51
Griechenland fünf Jahre ohne Euro - eine Drohung oder ein Weg zur
Gesundung? Ein «Grexit» - auch auf Zeit - birgt viele Risiken. Und es
ist unklar, wie das im Detail geregelt werden soll.
Berlin/Athen (dpa) - Finanzminister Wolfgang Schäuble hat eine
mögliche fünfjährige «Auszeit» von Griechenland aus der Eurozone
ins
Spiel gebracht. Ist dieser «Grexit auf Zeit» möglich? Und was würde
er bedeuten? Die wichtigsten Fragen:
Ist ein Grexit - und sei es auf Zeit - überhaupt eine Option?
Das Wort «Grexit» setzt sich aus «Greece» und «exit» zusammen u
nd
meint das freiwillige oder erzwungene Ausscheiden Griechenlands aus
der Eurozone. Damit wäre der Euro nicht mehr offizielles
Zahlungsmittel, und es müsste eine Landeswährung - etwa eine neue
Drachme - eingeführt werden. Ein solches Szenario ist ohne Vorbild,
und es ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. Die
anderen Mitgliedsländer können also keinen Rauswurf Athens aus dem
gemeinsamen Währungsraum beschließen. Experten sehen bestenfalls die
Möglichkeit, dass Griechenland pro forma aus der EU austritt und
sofort wieder Mitglied wird, allerdings dann wie andere Länder auch
ohne Eurowährung.
Ist «Auszeit» vom Euro etwas anderes als ein Grexit?
Wird eine Regelung gefunden, wie Griechenland geordnet aus der
Eurozone ausscheiden kann, wäre das Land quasi EU-Mitglied ohne
Eurowährung wie etwa auch Polen, Tschechien, Rumänien oder Kroatien.
Diese Länder sind allerdings vertraglich verpflichtet, ihre Finanzen
so zu ordnen, dass sie die Kriterien für eine Einführung des Euro in
absehbarer Zeit erfüllen - Stichwort Haushaltsdefizit und absoluter
Schuldenstand. Dann müssten auch sie den Euro einführen. Würde
Griechenland diesen Ländern gleichgesetzt, gäbe es auch für Athen
ohnehin weiter die Verpflichtung, auf eine (erneute) Einführung des
Euro hinzuarbeiten.
Wie würden die Finanzmärkte reagieren?
Hier sind sich die Experten weitgehend einig, dass größere
Verwerfungen, wie noch vor einigen Jahren befürchtet, ausbleiben
werden. Nach dem Schuldenschnitt für Griechenland haben sich viele
private Banken von griechischen Staatsanleihen getrennt. Heute liegt
der Großteil der griechischen Schulden bei öffentlichen Gläubigern,
also praktisch den Steuerzahlern in Europa. Zwar würden Griechenlands
Staatsschulden auch bei einem Grexit in Euro bestehen bleiben. Eine
vollständige Rückzahlung ist nach Einschätzung der meisten Experten
aber höchst unwahrscheinlich.
Und die reale Wirtschaft?
Außerhalb Griechenlands dürften sich die Probleme in Grenzen halten.
Das Bruttoinlandsprodukt Griechenland ist niedrig, die Verflechtung
mit der übrigen Wirtschaft in Europa gering. Für die einheimische
Wirtschaft könnte die Einführung einer deutlich abgewerteten Währung
auf mittlere Sicht die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Griechische
Produkte wären in Euro günstiger. Allerdings könnte die Umstellung
das Wirtschaftsleben zunächst lähmen, eine schwere Rezession wäre die
Folge. Andererseits würden Importe etwa aus Ländern wie dem Euro
massiv verteuert. Druckt die Regierung dann verstärkt Geld, um dem zu
begegnen, würde das die Inflation anheizen. Das Geld würde schnell
immer weniger wert.
Wäre die Drachme für die griechische Bevölkerung ein Vorteil?
Löhne und Gehälter würden in der Landeswährung gezahlt, die
international wohl wenig wert wäre. Insbesondere importierte Waren
würden sich massiv verteuern - neben Nahrungsmitteln etwa auch Autos,
Kleidung oder Elektrogeräte. Auch Energie - also Benzin, Heizung und
Strom - würde wohl erheblich teurer werden. Kommt eine galoppierende
Inflation hinzu, würden die Menschen für ihr Geld immer weniger
bekommen. Reisen ins Ausland wären für viele wohl unerschwinglich.
Wäre Griechenland dann noch ein verlässlicher politischer Partner?
Experten befürchten zumindest für eine Übergangszeit eine massive
Zunahme der Armut, soziale Verwerfungen und mögliche innenpolitische
Unruhen. Sie bezweifeln, ob Athen seine Verpflichtungen als
EU-Mitglied noch angemessen erfüllen könnte. Schon jetzt gibt es etwa
Reibungen bei Themen wie der Flüchtlingspolitik. Und die NATO
fürchtet Chaos in einem Mitgliedsland in einer geopolitisch unruhigen
Region. Zudem besteht die Befürchtung, dass sich Griechenland stärker
zu Russland und China hinwenden könnte.
Wie steht es mit den Ansteckungsgefahren?
Auch andere Länder, insbesondere im Süden Europas, sind hoch
verschuldet. Beobachter befürchten, dass das Ausscheiden eines Landes
aus dem Euro im schlimmsten Fall Schule machen könnte. Die fehlende
Austrittsoption wird als ein Grund gesehen, dass in Ländern wie
Irland, Portugal oder Spanien einschneidende Strukturreformen
durchgeführt wurden. Die Befürchtung: Mit einem Grexit würde eine
Ausgangstür eingerichtet, die es bisher nicht gab.