Wem gehört der Osten? - Bauern und Anleger ringen um Ackerland Von Burkhard Fraune, dpa

16.07.2015 15:43

Äcker sind bei Spekulanten begehrt, besonders in Ostdeutschland.
Bauernvertreter kritisieren immer wieder die Preispolitik der
bundeseigenen BVVG. Der Hektar-Kampf hat jetzt sogar den Europäischen
Gerichtshof erreicht.

Berlin (dpa) - 25 Jahre nach der Wiedervereinigung tobt im Osten ein
Kampf ums Ackerland. Bauern, Investoren und Konzerne hoffen auf
Rendite - durch Nahrungsrohstoffe für die wachsende Weltbevölkerung,
durch nachwachsende Energiequellen und durch steigende Bodenpreise.
Diese haben sich seit 2007 nahezu verdreifacht, auch die Pachtpreise
schnellen hoch. Die wichtigsten Akteure auf dem lukrativen Markt:

DIE LPG-NACHFOLGER:

Sie halten das Gros der Agrarflächen im Osten - was an den
Direktzahlungen der EU ablesbar ist, die an die Fläche gekoppelt
sind. Von den 30 deutschen Agrarbetrieben, die 2014 jeweils mehr als
1,5 Millionen Euro bekamen, sind 28 Genossenschaften im Osten.

Kritik an der EU-Subventionspraxis gibt es seit langem. Es sei eine
großbetriebliche Landwirtschaft konserviert worden, hieß es schon
2012 in einem Gutachten für den Brandenburger Landtag. Die Gegenseite
entgegnet, die Großen produzierten mehr und vor allem effizienter.

Die früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften
(LPG) sind besonders interessant für Investoren. Denn viele, die zu
Wendezeiten die Betriebe übernommen haben - zum Teil die damaligen
LPG-Leiter - gehen nun in Rente und verkaufen ihre Anteile.

«Außerlandwirtschaftliche Investoren haben jetzt keine Mühe mehr,
arrondierte Betriebe zu schaffen», erklärt Eckehard Niemann, Co-Autor
des Kritischen Agrarberichts. «Sie nutzen, was die DDR und die
Regierung Kohl geschaffen haben.»

DIE GROSSUNTERNEHMER:

Wo Flächen frei werden, fassen immer mehr finanzstarke Investoren aus
dem Westen Fuß. Die Grünen sehen eine «schleichende Übernahme». Z
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den größten Bodenbesitzern zählt die KTG Agrar mit 45 000 Hektar

Land, vor allem in Ostdeutschland, zudem in Litauen und Rumänien. Man
habe zur richtigen Zeit investiert, betont der Vorstandschef und
Gründer, der aus Bayern stammende Landwirt Siegfried Hofreiter.

«Für KTG bedeutet die Bodenpreissteigerung, dass hohe stille Reserven
gebildet wurden», bemerkt die börsennotierte SE im Geschäftsbericht
und blickt weiter östlich: «In Zukunft wird das Flächenwachstum nac
h
wie vor außerhalb von Deutschland im Fokus stehen.»

DIE KAPITALANLEGER:

Andere Unternehmer zielen neben guten Ernten ausdrücklich auf die
Wertsteigerung der Ost-Äcker, etwa die Agro Energy AG, hinter der
Hamburger Investoren und der Sauerländer Agrarunternehmer Matthias
Graf von Westphalen stehen. In einem ersten, vor vier Jahren
verkauften Investment mit 4200 Hektar holten sie für die Anleger nach
eigenen Angaben eine jährliche Rendite von 13,5 Prozent. Nun werde
über den Kauf von 20 000 Hektar in Ostdeutschland verhandelt.

Andere große Namen auf dem Ost-Bodenmarkt sind die niedersächsischen
Unternehmensgruppen Lindhorst und Steinhoff sowie die
münsterländische Rethmann-Gruppe.

ENERGIEKONZERNE: 

Noch recht neu ist, dass Energiekonzerne nach Boden greifen, um
schnell wachsende Bäume wie Pappeln und Weiden zu pflanzen, die sie
in Kraftwerken verheizen. So bewirtschaftet der schwedische
Staatskonzern Vattenfall Plantagen auf 1800 Hektar. Das Land
Brandenburg erwartet, dass die Fläche dieser «Kurzumtriebsplantagen»

im Land bis 2020 auf 10 000 Hektar wächst.

DIE BVVG: 

Die Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG), eine
Nachfolgerin der Treuhand, verkauft einst volkseigene Flächen im
Osten zu Höchstgeboten. In ihrem Bestand sind noch rund 177 000
Hektar Acker- und Weideland sowie 16 000 Hektar Wald - insgesamt mehr
als sechsmal so viel wie die Fläche der Stadt München.

Bauernvertreter kritisieren immer wieder die Preispolitik der
bundeseigenen BVVG. Vorwiegend Großbetriebe und westliche
Agrarindustrielle kämen zum Zug. Die BVVG betont, dass der Großteil
der Verkäufe an ortsansässige Bauern geht.

Kommt es zur Ausschreibung, erhält der Meistbietende den Zuschlag -
wenn nicht die Behörden dazwischen funken, weil Preise weit über
Marktwert geboten werden. Das hat der Landkreis Jerichower Land
gemacht und dafür nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)
grundsätzlich recht bekommen.

Ob das die Preisrallye stoppt, ist aber ungewiss. Denn für große
Investoren seien die Ausschreibungen mit durchschnittlich wenigen
Hektar uninteressant, betont die BVVG. Ganze Betriebe seien für sie
reizvoller.

DIE POLITIK: 

Sie hat sich spät zum Handeln durchgerungen. Bundesagrarminister
Christian Schmidt (CSU) hat kürzlich verfügt, dass die BVVG in noch
kleineren Losen privatisiert und Kontingente für Biobetriebe und
Junglandwirte vorhält. Das brandenburgische Agrarministerium arbeitet
an einem Erlass, ortsansässige Bauern bei Verkäufen zu bevorzugen. In
Sachsen-Anhalt wird ein Gesetz gegen Bodenspekulation diskutiert.

Die Initiativen richten sich vor allem gegen außerlandwirtschaftliche
Spekulanten; große Agrarbetriebe per se sind für sie kein Problem.
Schmidt sagt, man dürfe die Landwirtschaft nicht als «größeres
Freilandmuseum» romantisieren.