Sagt Dänemark wieder «Nein» zu mehr Europa? Von Julia Wäschenbach, dpa
02.12.2015 05:00
Dänemarks Ausnahmen in der EU-Zusammenarbeit gefährden die Teilnahm
e
des Landes an der europäischen Polizeibehörde Europol. Deshalb
stimmen die Bürger jetzt ab, ob sie einen Rechtsvorbehalt aufgeben
wollen. Auf das Referendumsergebnis sind auch die Briten gespannt.
Kopenhagen (dpa) - Das kleine Dänemark hat viel Übung darin, Nein zum
großen Europa zu sagen. 1992 lehnten die Dänen den Vertrag von
Maastricht zur Gründung der EU in einer Volksabstimmung ab. 2000
stimmten sie gegen den Euro und behielten die Krone. Und um der EU
nicht zu viel Macht über ihr Land einzuräumen, handelte Dänemarks
Regierung vier Ausnahmen von den EU-Verträgen aus. Doch jetzt
gefährdet eine dieser Ausnahmen die Teilnahme des Landes an der
europäischen Polizeibehörde Europol. Deshalb müssen die Dänen am
Donnerstag erneut Farbe bekennen, was ihr Verhältnis zu Europa
angeht.
Sie sollen dafür stimmen, dass Dänemark im Bereich Inneres und Justiz
nicht mehr ganz außen vor ist, sondern das Parlament künftig von Fall
zu Fall entscheiden kann, ob es bei einer neuen Verordnung mitmachen
will. So wollen es jedenfalls Regierungschef Lars Løkke Rasmussen und
eine Mehrheit der Parteien im dänischen Folketing. Sagen die Bürger
beim Referendum Ja, sagen sie zugleich Ja zu 22 bestehenden
Regelungen - auch zur polizeilichen Zusammenarbeit.
Deren Ende droht Dänemark, weil das Land nach dem Edinburgh-Abkommen
von 1993 an der Zusammenarbeit in der Rechts- und Innenpolitik nur
auf zwischenstaatlicher, nicht aber auf supranationaler Ebene
teilnimmt - sich also mehr nationale Souveränität bewahrt hat als
andere Länder. Weil die Europol-Zusammenarbeit bald überstaatlich
wird, müssen sich die Dänen also entscheiden: mitmachen oder nicht?
Ein Nein bei der Volksabstimmung bedeutet zwar nicht zwingend, dass
sich Dänemark in Zukunft nicht mehr bei Europol beteiligen kann. Das
Land müsste aber ein Parallelabkommen aushandeln - und dem müssten
wiederum EU-Kommission, Europa-Parlament und alle EU-Staaten
zustimmen. Das wäre aus Sicht des Regierungschefs Rasmussen ein
schwieriger, langer und unsicherer Weg. «Ein Ja bei der Abstimmung
ist die einzige Sicherheit, die wir haben, dass Dänemark weiter voll
und ganz an Europol teilhaben kann», schrieb er am Montag in der
Zeitung «Jyllands-Posten».
Darin sind sich seine Liberalen mit Konservativen, Sozialdemokraten,
Linksliberalen und Sozialisten einig. Rechtspopulisten und die linke
Einheitsliste werfen der Regierung dagegen vor, dem Volk
stückchenweise mehr EU unterzujubeln. Denn mit dem Ja zur
Umgestaltung des Systems geben die Bürger dem Parlament das Mandat,
sich neuen EU-Verordnungen ohne Referendum anschließen zu können.
So könnte irgendwann auch die Asylpolitik unter EU-Regie gelangen,
warnt der Chef der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei,
Kristian Thulesen Dahl. Løkke Rasmussen spricht dagegen von einem «Ja
mit Vorbehalten». Die Asylpolitik ist, obwohl sie zum Bereich Inneres
und Justiz gehört, von der Volksabstimmung ausgenommen, darauf haben
sich die Parteien geeinigt. «Die Asyl- und Ausländerpolitik bleibt in
Dänemark, wo sie hingehört - egal, was am 3. Dezember passiert. Sie
wird niemals verschoben, ohne dass die Dänen das in einer neuen
Volksabstimmung gutgeheißen haben», sagt der Ministerpräsident.
Umfragen zeigen aber, dass viele Bürger ihm genau das nicht glauben.
Sie sind vor der Abstimmung am Donnerstag vor allem eins: verwirrt.
«Das ist sehr komplizierter Stoff, und wir können nicht alle Details
verstehen», sagt der Wahlforscher Roger Buch. Deshalb handle die
Abstimmung mehr davon, ob man generell für oder gegen das europäische
Gemeinschaftsprojekt sei. Die Flüchtlingskrise hat viele Dänen
EU-kritischer gemacht und zusätzliche Angst vor Fremdbestimmung
geschürt.
Gepaart mit der Ratlosigkeit vieler, worüber sie eigentlich genau
abstimmen, spielt das den Gegnern der geplanten Neuregelung in die
Karten. Kurz vor der Abstimmung würden laut Umfragen 40 Prozent im
Sinne der EU-kritischen Parteien gegen die Abschaffung der bisherigen
Regelung stimmen, 35 Prozent dafür. Allerdings ist ein Viertel
der Befragten auch noch unsicher.
Auf der anderen Seite der Nordsee schielen derweil die Briten, die
bis Ende 2017 über ihren Verbleib in der EU abstimmen, auf das
Ergebnis der dänischen Volksabstimmung. Vor allem ein Nein würde im
Vereinigten Königreich Aufsehen erregen, sagte der frühere britische
EU-Minister Denis MacShane der Zeitung «Politiken». «Es würde als
Beweis dafür präsentiert werden, dass selbst die soliden Dänen «Nei
n»
zu Europa sagen.»