Nachbarn ) Das neue alte Feindbild - Polen ärgern sich über deutsche Kritik Von Christoph Sator und Eva Krafzcyk, dpa

11.01.2016 20:42

Vom 25. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags redet
derzeit niemand. Stattdessen wird Angela Merkel wieder mit Hitler
verglichen. Die Regierungen nehmen sich jetzt aber wenigstens vor,
wieder mehr miteinander zu reden.

Warschau (dpa) - Das polnische Nachrichtenmagazin «Wprost» hat diese

Woche Angela Merkel auf dem Titel. Oder zumindest den Kopf der
Kanzlerin. Denn alles unterhalb der Halskante lässt sich ziemlich
eindeutig Adolf Hitler zuordnen: die Uniform, die Feldherrnpose, die
Karte des Generalstabs auf dem Tisch. Und auch die vier Herren um
Merkel herum haben zwar die Gesichter von heutigen EU-Politikern,
aber die Körper von Wehrmachts-Generälen. Schlagzeile dazu: «Sie
wollen Polen wieder kontrollieren».

Es ist eine Fotomontage, die Erinnerungen weckt. An die Nazi-Zeit
natürlich, unter der Polen besonders schlimm zu leiden hatte. Aber
irgendwie auch an die zweite Hälfte des vergangenen Jahrzehnts, als
die Brüder Lech und Jaroslaw Kaczynski in Polen die Politik
bestimmten und Nazi-Vergleiche von deutschen Politikern schon einmal
populär waren: Merkel bekam dort schon 2007 Hitler-Bärtchen verpasst,
als in Griechenland und anderswo noch niemand an so etwas dachte.

Heute wird das alte Feindbild wieder gepflegt. Nach dem Wahlsieg der
nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von
Jaroslaw Kaczynskis - sein Bruder Lech kam 2010 als Präsident bei
einem Flugzeugabsturz ums Leben - im November ist das Verhältnis
zwischen Warschau und Berlin gerade wieder ziemlich angespannt.

Die neue Regierung im Nachbarland ist über die Kritik von deutschen
Politikern an ihrem Kurs - insbesondere an der Neubesetzung des
Verfassungsgerichts und am neuen Mediengesetz - schwer verärgert. Vom
25. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags, der 2016
eigentlich gefeiert werden könnte, redet derzeit niemand.

Wegen «antipolnischer Äußerungen deutscher Politiker» wurde
Deutschlands Botschafter Rolf Nikel am Montag sogar zum Gespräch ins
Außenministerium gebeten. Für Empörung sorgte insbesondere
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), der mit Blick auf Polen
am Wochenende von einer «gelenkten Demokratie nach Putins Art»
gesprochen hatte. Aber auch die Kritik des deutschen EU-Kommissars
Günther Oettinger (CDU) am Mediengesetz kam schlecht an.

Nach dem Termin waren beide Seiten allerdings bemüht, den Schaden zu
begrenzen. Polens Außenminister Witold Waszczykowski versicherte:
«Die deutsch-polnischen Beziehungen sind nicht angespannt. Also muss
man sie auch nicht besänftigen.» Zugleich riet er Deutschlands
Politikern aber auch, wieder häufiger nach Warschau zu kommen. Dann
würden sie sehen, «dass der Stand der Demokratie in Polen nicht so
schlecht ist, wie es aus der Ferne erscheint.»

Von deutscher Seite war nach dem Treffen von einem «sehr
konstruktiven Gespräch» die Rede. Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier ließ ankündigen, in «sehr naher Zukunft» nach Warschau
zu
reisen. Der SPD-Mann hatte schon Ende vergangenen Jahres empfohlen:
«Wir sind sehr gut beraten, wenn wir gerade jetzt mit unseren
polnischen Nachbarn sprechen und nicht über sie.» Es ist ein Satz,
den man in solchen Situationen häufiger hört.

Allerdings ist es nun nicht eben so, dass die Polen derzeit
besonderen Wert aufs Gespräch und Reisen nach Berlin legten. Auf den

Antrittsbesuch von Ministerpräsidentin Beata Szydlo wartet man dort
noch immer. Normalerweise ist dies nach einem Regierungswechsel
zwischen so engen Partnern eine Sache der allerersten Tage. Nun wird
es vermutlich Mitte Februar, bis die PiS-Regierungschefin kommt.

Die Grundstimmung gegenüber Deutschland ist in Warschau immer noch
arg gereizt - auch wenn sich die Bundesregierung im Vergleich zur EU
mit Kritik bislang zurückhält. Trotzdem sagte Verteidigungsminister
Antoni Macierewicz: «Polen wird sich nicht von Deutschland über
Freiheit und Demokratie belehren lassen.» Justizminister Zbigniew
Ziobro meinte zu Oettingers Drohung, Polen unter EU-Aufsicht zu
stellen: «Solche Worte von einem deutschen Politiker wecken bei Polen
die schlimmsten Assoziationen.»

Die Empörung richtet sich dabei vor allem gegen die deutsche Politik,
obwohl sich auch andere Europäer wie die ehemalige
EU-Justizkommissarin Viviane Reding aus Luxemburg mit Kritik nicht
zurückhalten. Vielleicht wird sich das in den nächsten Tagen etwas
ändern: Am Mittwoch will die EU-Kommission mit einer vertieften
Prüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen beginnen. Es ist das erste
Mal, dass die EU diesen Mechanismus nutzt. Im Extremfall kann dies
sogar zum Entzug von Stimmrechten führen.