Bloß kein Ja-Sager sein: Matteo Renzi auf Konfrontationskurs Von Miriam Schmidt, dpa

16.02.2016 07:00

Matteo Renzi schießt regelmäßig gegen Brüssel und Berlin. Auch vor

dem anstehenden EU-Gipfel hat sich nichts daran geändert, dass
Italiens junger Regierungschef sich ungerecht behandelt fühlt. Doch
hinter seinen ewigen Sticheleien steckt auch eine Menge Kalkül.

Rom (dpa) - Matteo Renzi lässt derzeit keine Gelegenheit aus, um
seiner Unzufriedenheit Luft zu machen. «Man muss sich wieder den
ernsteren Fragen Europas widmen - und nicht den Fragen von Null Komma
irgendwas», schimpfte Italiens Regierungschef erst vergangene Woche
über die strengen EU-Schuldenregeln, als er den österreichischen
Kanzler Werner Faymann empfing. Auch vor dem anstehenden EU-Gipfel
positioniert sich Renzi weiter als nörgelnder Kritiker zu strikter
Sparziele und deutscher Dominanz. Daran hat auch sein Besuch in
Berlin Ende Januar kaum etwas geändert.

Renzis Vereidigung zum Ministerpräsidenten jährt sich am kommenden
Montag zum zweiten Mal. Zwei Jahre, in denen der ehrgeizige
Aufsteiger viel erreicht hat, etwa die dringend nötigen Reformen des
Arbeitsmarktes, des Senats und des Wahlrechts. Dennoch befreit sich
Italien nur langsam aus der schweren Rezession. Und auch
innenpolitisch steht der Regierungschef unter Druck. Auch deshalb hat
Renzi seine eigene politische Zukunft mit dem Erfolg des Referendums
über die wichtige Verfassungsreform im Herbst verknüpft.

Scheitert das Referendum, könnte dies eine der ersten größeren
Niederlagen Renzis werden. Denn bislang verlief seine Karriere steil:
Als Bürgermeister von Florenz machte er sich einen Namen, wurde dann
zum Parteichef gewählt und stieg nur wenig später zum
Ministerpräsidenten auf. Auch in Deutschland wurden zu Beginn seiner
Amtszeit vor allem seine Reformerfolge und sein Ehrgeiz gelobt. Renzi
wird nach wie vor nicht müde zu betonen, Italien sei nicht mehr das
Problem Europas und habe seine Hausaufgaben gemacht.

Denn vor allem die europakritische Oppositionspartei «5 Sterne» sitzt
dem Sozialdemokraten in der Heimat im Nacken. Der Flüchtlingszustrom
und die sich nur langsam erholende Wirtschaft sorgen dafür, dass
rechtspopulistische und europaskeptische Parteien Zulauf haben. Vor
allem mit Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen in vielen Städten
- darunter auch Rom und Mailand - will Renzi nicht als Ja-Sager
dastehen, der sich von Brüssel und Berlin alles gefallen lässt.

Seine Dauer-Kritik ist daher auch ein Stück weit Kalkül, um nicht zu

viele Wähler an europakritische Alternativen zu verlieren. Und auch
mit geplanten Steuererleichterungen kämpft Renzi um Wählerstimmen und
würde deshalb Italiens Haushaltsdefizit gerne weiter anheben. Die
Diskussion über die Ausrichtung der europäischen Finanzpolitik ist
zum ständigen Streitpunkt zwischen Rom und Brüssel geworden. «Nur mit

Austerität stirbt Europa», klagte Renzi auch vergangene Woche in
einem Brief an die Tageszeitung «La Repubblica».

Neben dem Spardiktat aus Brüssel hatte Renzi zuletzt immer wieder
eine «deutsche Dominanz» in Europa angeprangert. Der 41-Jährige gil
t
als charismatisch und selbstbewusst - und so manchem auch als eitel.
Wichtig ist es ihm, sich in Europa ernst genommen und auf Augenhöhe
mit Ländern wie Deutschland und Frankreich zu fühlen. «Wir lassen uns

nicht einschüchtern, Italien verdient Respekt», fordert er. Sein
Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, bei dem beide Harmonie und
Einigkeit demonstrierten, war in dieser Hinsicht wichtig.

Dennoch hat sich seitdem wenig daran geändert, dass der Italiener
fleißig gegen die EU schießt. Dabei ist der studierte Jurist
eigentlich ein überzeugter Europäer. Und Renzi ist sich durchaus
bewusst, dass sein Land die EU braucht - und dass Italien in Zeiten
der Krise als starker und verlässlicher Partner Deutschlands punkten
könnte. Denn auch das betont Renzi derzeit immer wieder, erst
vergangene Woche versprach er: «Vor uns liegt eine sehr schwierige
Phase. Aber Italien ist bereit, seinen Teil dazu beizutragen.»