Politische Träumereien? Brüssel denkt über Asylreform nach Von Martina Herzog, dpa
05.04.2016 16:49
Die EU-Staaten können sich in vielem einig werden: Reform der
Roaming-Gebühren, Fischquoten, Bankenrettung. Doch beim Umgang mit
Flüchtlingen findet die Solidarität ein jähes Ende. Die EU-Kommission
bringt jetzt eine Reform ins Spiel. Mit welchen Chancen?
Brüssel (dpa) - Die bisherige Bilanz der Europäischen Union in der
Flüchtlingskrise fällt mehr als mickrig aus. Die im vergangenen Jahr
beschlossene Verteilung von bis zu 160 000 Flüchtlingen aus Italien
und Griechenland kommt kaum voran. Gerade einmal 1111 Personen hatten
andere EU-Staaten bis zum 4. April übernommen, weniger als ein
Prozent der vereinbarten Zahl.
Die lähmend langsame Verteilung spiegelt die grundsätzliche
Zerstrittenheit der EU-Staaten angesichts des Andrangs Hilfesuchender
wider. Doch die Brüsseler EU-Kommission gibt sich unbeirrt und denkt
nun über eine Verlagerung von Asylentscheidungen auf die europäische
Ebene nach. Ob sie dafür Mehrheiten findet, ist mehr als fraglich.
Die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller spricht von einer
«Blockadesituation». «Die Mitgliedsstaaten sind sich nur in einem
einig: dass sie so wenig Flüchtlinge haben wollen wie möglich.» Diese
Haltung spiegelt sich auch in der Vereinbarung mit der Türkei wider,
die Migranten abschrecken soll.
Doch die Brüsseler EU-Kommission, im politischen Geflecht zuständig
für Gesetzesinitiativen, will die Blockade brechen. Einen Testballon
mit ersten Ideen zur Reform der sogenannten Dublin-Regeln will sie am
Mittwoch steigen lassen, später sollen konkrete Gesetzesvorschläge
folgen.
«Wir werden im Wesentlichen zwei Optionen auf den Tisch legen», sagte
der Vertreter der Behörde in Deutschland, Richard Kühnel, am Dienstag
bei einem Besuch in Dresden. Die erste Möglichkeit sieht vor, dass
die EU-Staaten weiterhin «auf Basis des bestehenden Dublin-Systems»
operieren. Dabei ist der EU-Staat, in dem ein Asylbewerber zuerst den
Boden der EU betritt, für das Asylverfahren zuständig. Bei einem
starken Ansturm von Flüchtlingen soll nach einem Bericht der «Welt»,
dessen Inhalt in Brüssel bestätigt wurde, ein «Fairness-Mechanismus
»
greifen - Flüchtlinge würden dann nach einem Schlüssel in Europa
verteilt.
Als Alternative denkt die EU-Kommission laut Kühnel über eine
«einheitliche europäische Behandlung von Asylanträgen» nach. «Im
Gegensatz zu Option 1 werden die Asylbewerber hierbei direkt auf der
Basis eines Verteilungsschlüssels auf die Mitgliedsländer verteilt,
wenn sie irgendwo in der EU einen Antrag stellen», zitiert die «Welt»
aus dem Papier der Behörde. Und eines Tages, so hofft die
EU-Kommission, könnte die Entscheidung über Asylanträge vielleicht
ganz auf europäischer Ebene liegen, bei der EU-Asylagentur EASO.
Die Reaktionen insbesondere osteuropäischer Hauptstädte auf solche
Gedankenspiele dürften zwischen kühl und beißend ausfallen. Ungarn
und die Slowakei haben bereits im vergangenen Jahr Klage gegen die
Verteilung der 160 000 Flüchtlinge eingereicht. Die beiden Länder
waren bei den entsprechenden Entscheidungen neben Rumänien und
Tschechien zum Teil überstimmt worden.
Wie viel Sinn macht also ein Vorschlag der EU-Kommission, der von
vornherein schlechte Erfolgsaussichten hat? Wenig, meint Bernd Lucke,
der für den AfD-Ableger Alfa im Europaparlament sitzt. Lucke verweist
auf die schwache Bilanz der europäischen Asylpolitik. «Da sollen wir
jetzt die Kompetenz über die Anerkennung von Flüchtlingen aus der
Hand geben?», fragt er rhetorisch - und warnt vor «weiteren
Souveränitätsabtretungen».
Die Grünen-Abgeordnete Keller glaubt, die EU-Behörde wolle auch den
eigenen Ruf retten: «Die Kommission will zeigen: Sie macht die
ambitionierten Vorschläge, und die Mitgliedsstaaten machen nicht
mit.» Eigentlich wollte die EU-Kommission die Asylpolitik schon vor
Jahren stärker europäisieren. Sie scheiterte mit dem Vorstoß im Jahr
2010 auch an einer konservativ geprägten Koalition. Mit dabei damals:
Deutschland.