Britische Promis in Deutschland und der Brexit Von Britta Schultejans, dpa

17.06.2016 10:57

Fast 106 000 Briten leben in Deutschland, darunter auch ein paar
Promis. Die Deutsche Presse-Agentur hat bei ihnen nachgefragt, was
sie vom drohenden Brexit halten.

München (dpa) - Kurz vor dem Schicksalstag in Großbritannien steht
der englische Dirigent Simon Rattle im Münchner Herkulessaal auf der
Bühne. Er hebt den Taktstock - und das Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunk donnert los: «Freude schöner Götterfunken».

Ludwig van Beethovens «Ode an die Freude», die europäische Hymne.
Zwar geht es Rattle bei dieser Aktion um einen Protest gegen das Aus
für das Europäische Jugendorchester. Doch auch das Thema Brexit ist
natürlich allgegenwärtig an diesem Tag - und bei dieser Melodie.

Eigentlich wolle er sich zu dem Thema gar nicht äußern, sagt Rattle.
Das hätten schon zu viele getan. Aber es liege doch auf der Hand,
dass Briten, die sich international bewegen, wahrscheinlich dafür
seien, dass Großbritannien in der EU bleibt. Rattle ist seit 14
Jahren Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und lebt in der
deutschen Hauptstadt.

Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik leben derzeit 105 965
Briten in Deutschland (Stand 31. Dezember 2015, 65 115 Briten und 40
850 Britinnen. Seit 2010 (96 143) stieg die Zahl kontinuierlich.

Einer von ihnen ist der britische Bildhauer Tony Cragg, der seit rund
40 Jahren in Wuppertal lebt, wo er den Skulpturenpark Waldfrieden als
internationales Ausstellungszentrum betreibt. Von 2009 bis 2013 war
er Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie. Einen Austritt
Großbritanniens aus der Europäischen Union fände er «wirklich sehr

schade». «Das wäre ein Schritt rückwärts in der Entwicklung», s
agt
er.

Ähnlich sieht das auch Andrew Manze, Chefdirigent der NDR
Radiophilharmonie. «Der Brexit würde wahrscheinlich die EU
verletzen», sagt der 51 Jahre alte Geiger und Dirigent. Die Folgen
für die Briten seien unvorhersehbar.

Angst vor einem Brexit hat auch die Schauspielerin Rebecca
Siemoneit-Barum, bekannt aus der «Lindenstraße» und dem
RTL-«Dschungelcamp» - und Halb-Engländerin. Ihre Mutter hat einen
britischen Pass. «Die Beziehung zu Großbritannien prägt mein ganzes
Leben», sagt sie. «Deswegen ist dieses Thema natürlich tagesaktuell
für uns und wichtig und wir überlegen, was für Konsequenzen das haben

könnte.»

Panisch sei man in ihrer Familie zwar nicht, aber: «Ich fände es
angesichts der weltpolitischen Lage schön, England als europäischen
Staat weiter mit im Boot zu haben und dass wir uns gegenseitig
schützen. Gerade auch, weil es in meinem Blut ist, ist mir das
vielleicht wichtiger als anderen Menschen.»

Sie glaubt allerdings, dass der Volksentscheid am 23. Juni in letzter
Sekunde doch pro EU ausgehen wird. «Ich denke, am Wahltag werden
einige, die jetzt noch groß prahlen, dass sie raus wollen, doch ein
bisschen Schiss kriegen und sagen: Bleiben wir mal lieber drin.»

Benjamin Boyce wurde in London geboren, zog 1998 nach Deutschland,
blieb bis 2009, war fünf Jahre weg und ist jetzt wieder da. Der
Sänger (früher Caught in the Act, später RTL-«Dschungelcamp») woh
nt
in Köln, reist aber noch regelmäßig «auf die Affeninsel», wo er
allerdings nicht mehr wählen dürfe, weil sein Wohnsitz in Deutschland
sei.

«Die haben natürlich 1000 Jahre auf dieser Insel gelebt», sagt er
über seine Landsleute. Großbritannien sei immer ein sehr
selbstständiges Land gewesen. «Sie sind noch sehr gebunden an das
Traditionelle und die selbstständige Vergangenheit», sagt er und hat
durchaus Verständnis für diese Position. «Sie wollen ihre
Originalität behalten und das hat natürlich auch immer was. Wenn ich
rüber fahre, bin ich auch wirklich in England.» Ob der Brexit
politisch gesehen eine gute Sache sei - das wisse er nicht. «Es
könnte natürlich gefährlich sein, wenn sie sich zu sehr absondern von

den Dingen, die man in Europa Hand in Hand macht.»

Brexit oder nicht - Boyce will in Deutschland bleiben, auch wenn er
den Service in englischen Baumärkten besser findet als in deutschen.
«Köln ist meine Heimat. Ich bin ein stolzer Brite in Deutschland.»

Ob er dafür im Brexit-Fall künftig eine Aufenthaltsgenehmigung
braucht, hänge von den Vereinbarungen eines möglichen
Austrittsabkommens zwischen Großbritannien und der Europäischen Union
ab, erklärt der Europarechtler Walther Michl von der
Ludwig-Maximilians-Universität in München. «Die Rechtsstellung würd
e
sich nach Austrittsabkommen richten.»