Andrea Leadsom: Brexit-Fan, Ex-Bankerin und Familienmensch Von Teresa Dapp, dpa
07.07.2016 18:06
Andrea wer? Bis vor kurzem war die Frau, die bald Großbritannien
führen könnte, kaum jemandem bekannt. Politisch ist sie relativ
unerfahren - macht «echte» Lebenserfahrung das wett?
London (dpa) - Bevor die Briten für den Brexit stimmten, kannte
Andrea Leadsom im Ausland kaum jemand - und in Großbritannien auch
nicht. Die 53-Jährige sitzt erst seit sechs Jahren für die
Konservativen im britischen Unterhaus und ist seit vergangenem Jahr
Staatssekretärin im Energieministerium. Und ab Herbst vielleicht
sogar Premierministerin? Die Engländerin tritt in der nun beginnenden
Urwahl eines neuen Tory-Chefs gegen Innenministerin Theresa May an.
Vor dem EU-Referendum schloss sich Leadsom (ausgesprochen: Ledsom)
dem Brexit-Lager an. In Fernseh-Debatten erwarb sie sich mit ihren
sachlichen und durchdachten Argumenten Respekt.
Den EU-Austritt sieht sie als Chance, Austrittsverhandlungen will sie
möglichst zügig in die Wege leiten - anders als May. Leadom hofft,
sich mit der EU auf ein Freihandelsabkommen ohne Freizügigkeit
einigen zu können, was viele für unmöglich halten. Brexit-Wortführe
r
Boris Johnson, der überraschend auf eine eigene Kandidatur verzichtet
hatte, schlug sich auf Leadsoms Seite.
Schlagzeilen machte die Engländerin zuletzt vor allem mit ihrer
Karriere vor der Politik: Sie arbeitete als Bankerin 25 Jahre lang
unter anderem bei Barclays und dem Investment-Manager Invesco
Perpeuto. Kritiker werfen ihr vor, sie habe ihren öffentlichen
Lebenslauf geschönt und in Wirklichkeit eine Fonds gemanagt. Kritik
gab es auch dafür, dass sie ihr Gehalt noch nicht öffentlich gemacht
hat wie ihre Konkurrentin May.
Andererseits gilt Leadsom mit ihrer Berufserfahrung vielen als
Vertreterin der «echten Welt», die Quereinsteigerin hat eben keine
klassische Politiker-Karriere hinter sich. Noch dazu ging sie, anders
als große Teile der Westminster-Elite, auf staatliche Schulen und
studierte weder in Oxford noch Cambridge, sondern Politikwissenschaft
an der Warwick University. Als Abgeordnete konnte sie ihre
Berufserfahrung nutzen, als sie Banker über den Skandal um
manipulierte Zinssätze ins Kreuzverhör nahm.
Liberal Gesinnten in Großbritannien stieß bitter auf, dass Leadsom
sich in einer Abstimmung über die Legalisierung der Homo-Ehe
enthielt. Die verheiratete, dreifache Mutter gilt als «klassische»
Konservative, deren politische Ansichten bei der Basis gut ankommen -
für die Urwahl in den kommenden Wochen könnte das ein Vorteil sein.
Sie bezeichnet sich selbst als «sehr engagierte Christin», spricht in
Interviews darüber, dass sie Sonntagsbraten zubereitet, und erzählt
gern Anekdoten aus dem Familienleben - Familie sei ihr das
wichtigste.
In ihren jüngste Wahlkampfreden versprach Leadsom «Wohlstand statt
Sparkurs» und Chancen für die, die sich abgehängt fühlen oder es
sind. «Meine wahre Leidenschaft ist soziale Gerechtigkeit», sagte sie
dem «Telegraph».