Die SPD und die große Ceta-Abrechnung Von Christiane Jacke, Sebastian Engel und Doris Heimann, dpa
19.09.2016 14:04
Draußen wird demonstriert, drinnen an Kompromissen gefeilt. Für
Parteichef Gabriel geht es beim SPD-Konvent zum Ceta-Abkommen um sehr
viel. Er versucht es mit Zugeständnissen an die Parteilinke.
Wolfsburg (dpa) - Die Gegner machen Lärm. Draußen vor dem
Congresspark Wolfsburg haben sich etwa 150 Demonstranten aufgebaut.
Sie nehmen die Sozialdemokraten in Empfang, die zum Parteikonvent
anrücken. Zur großen Abrechnung in Sachen Ceta, dem umstrittenen
Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Die Demonstranten
trommeln und tröten, rufen in Sprechchören: «Hopp, hopp - Ceta
stopp.» Derweil entwickeln sich die Dinge drinnen in eine andere
Richtung.
Im Gegensatz zu den Großdemonstrationen vom Wochenende wirkt der
Wolfsburger Aufmarsch etwas müde. Die meisten Protestler hier sind im
Rentenalter. Nicht jeder hat montagmittags Zeit zum Demonstrieren. Am
Samstag gingen noch Zehntausende in sieben deutschen Städten gegen
Ceta und das mit den USA geplante TTIP-Abkommen auf die Straße.
Gewerkschaften, Umweltschützer, Globalisierungskritiker, kirchliche
Gruppen, Linke, Grüne und Piraten machen seit langem Front gegen die
Handelsabkommen. Aber auch in der SPD sind die Vorbehalte zum Teil
groß, während der Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
vehement für Ceta wirbt.
Hinter verschlossenen Türen beraten die Genossen in Wolfsburg nun, ob
sie Ceta mittragen oder nicht. Und wenn ja, zu welchen Bedingungen.
Die SPD-Führung versuchte, die Gegner mit der Aussicht auf
Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren zu besänftigen. Doch
die Parteilinke forderte mehr.
Gabriel mühte sich rastlos, seine Partei hinter sich zu bringen, und
auch die Gewerkschaften. Er reiste überstürzt nach Kanada, um von
dort das Signal mitzubringen, dass noch «Klarstellungen» zusätzlich
zum Vertragstext verhandelbar sind.
Hinter den Kulissen liefen in den vergangenen Tagen unzählige
Gespräche und Versuche, einen Kompromiss zu finden. Zum Teil durchaus
erfolgreich. Drei wesentliche Köpfe - Sigmar Gabriel, Matthias
Miersch, der vorderste Parteilinke und Ceta-Skeptiker, und Bernd
Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen
Parlament - vereinbarten eine Kompromisslinie, die kurz vor Beginn
des Konvents auch der SPD-Vorstand absegnet.
Die Kernidee: Vor einer Abstimmung über Ceta im Europäischen
Parlament soll es nach ihrem Willen einen «ausführlichen
Anhörungsprozess» geben, an dem die nationalen Parlamente und die
Zivilgesellschaft beteiligt werden. Die «kontroversen Fragen» rund um
Ceta sollen dort noch mal ausgiebig diskutiert und das Abkommen soll
so lange auch nicht vorläufig angewendet werden. So ein Verfahren
könnte dauern.
Ob das die Delegierten überzeugt? Die SPD ist bisweilen
unberechenbar. Im vergangenen Dezember strafte der Bundesparteitag
den SPD-Chef mit einem desaströsen Wahlergebnis ab. Seitdem ist er
der 74,3-Prozent-Vorsitzende. Und schon im Juni 2015 hatte Gabriel
einen Konvent zu überstehen - zur Vorratsdatenspeicherung. Da
schaffte er es nur mit Ach und Krach, eine knappe Mehrheit für seinen
Kurs zu gewinnen.
Sollte Gabriel auch in Wolfsburg nur eine dünne Mehrheit für seinen
Ceta-Kurs begeistern können, für den er sich derart ins Zeug gelegt
hat, dann würde ihm das zwar den Kopf retten, aber unangenehme
Diskussionen blieben ihm wohl nicht erspart. Sollte Gabriel aber
keine Mehrheit zustande bekommen, wäre er als Parteichef und
möglicher Kanzlerkandidat wohl nicht mehr zu halten. Aber auch die
gesamte SPD-Führung, die sich hinter ihren Chef gestellt hat, wäre in
dem Fall beschädigt.
Gabriel braucht eine klare Mehrheit - auch als «Mandat» für das
weitere Prozedere auf EU-Ebene. In ein paar Tagen steht ein
informelles Treffen der EU-Handelsminister an. Ende Oktober soll das
Ceta-Abkommen beim EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet werden.
Ein gefrusteter Mann von der SPD-Basis in Wolfsburg meint zu wissen,
wie es ausgeht. «Der Vorsitzende wird seine Mannschaft schon so unter
Druck gesetzt haben, dass sie zustimmt», sagte der Helfer beim
Konvent. Er schaut rüber zu den Demonstranten vor der Kongresshalle.
«Das sind ja vielleicht SPD-Wähler, und die fallen künftig auch noch
weg», klagt er. «Und das nur, weil Herr Gabriel seine Interessen
durchsetzen will.»