Viel Wirbel um Nichts: Deutscher Biermarkt hat EU-Urteil verkraftet Von Elke Richter, dpa

10.03.2017 05:00

Vor 30 Jahren wurde Deutschland von der EU dazu verdonnert, den
Verkauf ausländischer Biere zuzulassen, die nicht nach dem
Reinheitsgebot gebraut sind. Heute sieht die Branche das gelassen -
die Probleme liegen woanders.

München (dpa) - Was haben die deutschen Brauer und Bierliebhaber
damals geschäumt gegen das EU-Urteil zum Reinheitsgebot: Dank der
Brüsseler Bürokraten werde Deutschland künftig von ausländischen
Chemie-Bieren überschwemmt! Die Aufregung legte sich nach dem Urteil
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom März 1987 allerdings rasch.
Selbst heute, 30 Jahre später, spielen Biere mit künstlichen Aromen,
Farbstoffen oder Stabilisatoren eine verschwindend geringe Rolle auf
dem hiesigen Markt.

Doch von vorne: Seit nunmehr über 500 Jahren gilt hierzulande das
Reinheitsgebot. Die im Jahr 1516 durch den bayerischen Herzog Wilhelm
IV. erlassene Herstellungsvorschrift setzte sich peu à peu auch in
anderen Regionen durch, bis sie 1906 vom Deutschen Reich
allgemeinverbindlich übernommen wurde. Danach darf Bier nur aus
Hopfen, Malz, Hefe und Wasser gebraut werden.

Und dann das: Die EG-Kommission - die Umbenennung in EU folgte erst
1992 - stört sich daran, dass Deutschland die Einfuhr von
ausländischen Bieren verbot, die sich nicht an das Reinheitsgebot
halten und etwa mit Reis, Mais, Hirse oder Soja gebraut werden - oder
die zugelassene Zusatzstoffe zur Haltbarmachung, Schaumstabilisierung
und Geschmacksverbesserung verwenden. Mit ihrer Klage wollte die
Kommission zwar nicht an einem der ältesten gültigen
Lebensmittelgesetze rütteln, sah darin aber eine Beschränkung des
freien Handels innerhalb der Gemeinschaft.

Deutschland musste die Einfuhr dieser Biere also erlauben. Doch es
fand sich eine andere Lösung: «Der politische Kniff ist es, Bier als

traditionelles Lebensmittel auszuweisen. Dadurch kann im
Lebenmittelgesetz verankert werden, dass für Bier nach dem
Reinheitsgebot die ganze Liste der Zusatzstoffe ausgeschlossen ist,
die laut EU-Gesetz erlaubt sind», erläutert der Hauptgeschäftsführe
r
des Deutschen Brauer-Bunds, Holger Eichele.

Es gibt also «Chemie-Bier» in Deutschlands Getränkemarktregalen -
deren Hersteller dürfen aber nicht mit dem Reinheitsgebot werben und
müssen die E-Nummern auf dem Etikett ausweisen. Doch der Kunde muss
nach diesen Flaschen suchen: Branchenkenner sprechen von einem
«homöopathischen» Anteil von etwa einem Prozent.

«Das ist die Rechtslage, mit der können wir prima leben», betont auch

Roland Demleitner, Bundesgeschäftsführer des Verbands Private
Brauereien Deutschland. «Das Reinheitsgebot ist nach wie vor ein
Qualitätslabel und im Grunde der Maßstab für den deutschen
Biertrinker. Daran hat sich nichts geändert - die Befürchtungen, dass
es zu enormen Marktverschiebungen kommt, waren überflüssig.»

Letztlich hätten viele deutsche Brauer von der Öffnung der
Handelsgrenzen sogar profitiert, ergänzt Demleitner. So hat sich der
Export seither fast verdreifacht, wie aus Zahlen des Statistischen
Bundesamtes hervorgeht. Alkoholfreies nicht mitgerechnet, führten die
Brauer im vergangenen Jahr 1,67 Milliarden Liter in andere Länder aus
- rund ein Sechstel ihrer gesamten Produktion.

Die Brauer treibt schon lange nicht mehr das EuGH-Urteil um. Sie
kämpfen mit immer niedrigeren Preisen, ausgelöst durch den
knallharten Konkurrenzkampf im Handel. «Hochpreisige Brauspezialität
versus billiges Massenbier - so eine Spanne hatten wir noch nie»,
schildert Demleitner die Lage. «Sie können heute in der
Plastikflasche bei einem Discounter 0,5 Liter für 30 Cent kaufen,
können aber auch ein Spezialbier mit entsprechend hoher Stammwürze
für 6 Euro erwerben.»

Um die Nachfrage nach hochpreisigen Bieren zu befördern, setzt
die Branche auf Vielfalt. Selbst innerhalb des Reinheitsgebots können
Experten zufolge durch die unterschiedlichen Hopfen- und Malzsorten
sowie Hefestämme gut eine Million verschiedene Biere gebraut werden.
Aktuell bieten die 1400 Brauereien mehr als 6000 Biermarken an -
Tendenz steigend: Pro Woche kommt etwa eine neue Marke in den Handel.
Auch das sogenannte Craft Beer hat dem Markt neuen Schwung verliehen
- dies sind besonders hopfen- und malzaromatische Biere, die durch
besondere Brauverfahren etwa eine Litschi- oder Mangonote bekommen.

Das ändert nichts daran, dass der Bierkonsum seit Jahren zurückgeht.
Hatte sich die Bundesrepublik 1987 vor dem EuGH mit dem Argument
gewehrt, dass deutsche Männer im Schnitt ein Viertel ihres täglichen
Kalorienbedarfs über Bier zu sich nähmen, trinkt jeder Einwohner
heute im Jahresdurchschnitt 97 Liter - 40 weniger als vor 30 Jahren.