Slowakische Kolonie im österreichischen Dorf Von Christoph Thanei, dpa
12.04.2017 06:53
Ob Schule, Kindergarten oder Freizeitaktivitäten - unter den Kindern
dominiert die slowakische Sprache in der österreichischen Gemeinde
Kittsee. Neuzuwanderer aus der Nachbarstadt Bratislava haben das
einst verschlafene Grenzdorf radikal verändert.
Kittsee/Bratislava (dpa) - «Manche Einheimische fühlten sich auf
einmal als Fremde im eigenen Dorf, weil die Veränderung so schnell
und so massiv kam», erzählt Tanja Buchebner-Böhm. Die erfahrene
Lehrerin ist selbst in der damals verschlafenen Grenzgemeinde Kittsee
direkt am «Eisernen Vorhang» aufgewachsen.
Damals hatte man zwar die Hochhäuser von Bratislava direkt vor den
Augen, aber Kontakte gab es so gut wie keine. Jetzt wird ihre Schule
zu 71 Prozent von slowakischen Kindern dominiert. Und auch in den neu
entstandenen Freizeiteinrichtungen wie dem von ihr selbst
mitgegründeten Familienzentrum KiKi dominiert die slowakische
Sprache.
Das Unterrichten von so vielen Fremdsprachigen bereitet
Buchebner-Böhm keine Probleme. Die meisten Zuwandererkinder stammen
aus der höheren Bildungsschicht und lernen auch die deutsche Sprache
schnell. Schwieriger ist für die Lehrerin die Kommunikation mit
manchen Eltern - nicht nur sprachlich: So hätten einige versucht,
über Schulnoten zu verhandeln, auch mit Bestechungsangeboten. Oder
sie hätten ihre Kinder krank gemeldet, um noch in der billigeren
Vorsaison auf Urlaub fahren zu können.
Dass viele Neueinwohner aus der exkommunistischen Slowakei ein
anderes Verständnis von Regeln und Gesetzen mitbrachten, bereitet
auch Bürgermeisterin Gabriele Nabinger Sorgen. Die Tendenz zur
Steuervermeidung, etwa durch Anmelden von Autos in der Slowakei statt
in Österreich, stört sie auch angesichts der großen Aufwendungen an
Steuergeld, die den Zuwanderern zugute kommen. Vier Millionen Euro
für den Neubau des Kindergartens und 2,5 Millionen für einen
Schulanbau, der womöglich schon bald nicht mehr reichen wird, nennt
sie als die größten öffentlichen Ausgaben im Dorf.
Aus der Slowakei übersiedelt sind nämlich fast ausschließlich junge
Paare und Familien mit kleinen Kindern. Das vorher überalterte Dorf
ist plötzlich jung und lebendig geworden. Zugleich auch ein bisschen
städtischer: Dass sich alle kennen und grüßen, ist Vergangenheit,
aber dafür schießen überall Geschäfte und Einkaufszentren aus dem
Boden.
Und seit rund zehn Jahren gibt es einen wahren Boom an Bautätigkeit -
auch durch slowakische Firmen. Die offizielle Statistik weist Kittsee
als die am schnellsten wachsende Gemeinde Österreichs aus. Ein
Drittel der dreitausend Einwohner ist erst in den vergangenen rund
zehn Jahren aus der Slowakei übersiedelt.
Inzwischen herrsche weitgehende Einigkeit, dass das an sich
wünschenswerte Wachstum «zu schnell und zu massiv» erfolgt sei, sagt
Nabinger. Kindergartenleiterin Christine Schmid wundert sich auch
nicht mehr, dass gerade slowakische Eltern besonders die Dominanz von
Slowakisch unter den Kindern beklagen: «Wir mussten auch rein
slowakische Gruppen einrichten, weil es einfach nicht genug
österreichische Kinder gibt.» Dabei war für viele gerade das Erlernen
der deutschen Sprache eine Motivation zum Übersiedeln.
Die dreifache Mutter Adriana Patakova gehört zu den aktiven
slowakischen Eltern, die noch einen Schritt weiter voraus denken: «In
vier bis fünf Jahren werden die jetzt kleinen Kinder zu über 200
Teenagern herangewachsen sein, für die es im Ort keine
Freizeit-Infrastruktur gibt.» Schon jetzt fährt sie mit ihrer Tochter
Ema jede Woche ins 30 Kilometer entfernte Neusiedl am See, damit die
begabte Geigenspielerin dort in einem Kinderorchester mitspielen
kann.
Der Zukunft von Kittsee sieht Patakova gespannt entgegen: «Werden die
jetzigen Kinder hier bleiben und selbst Familien gründen oder für
ihre Berufstätigkeit abwandern? Das wird einen extremen Unterschied
ausmachen, weil der Kinderanteil jetzt so außergewöhnlich hoch ist.»