Letzter Abverkauf: Schockbilder nun auf allen Tabakschachteln Von André Stahl, dpa

18.05.2017 06:51

Sie sollen vor allem junge Menschen vom Rauchen abhalten -
Gruselfotos und große Warnhinweise auf Zigarettenschachteln. Die sind
seit einem Jahr Pflicht. Alte Verpackungen durften aber noch verkauft
werden. Die Politik plant nun weitere Verschärfungen.

Berlin (dpa) - Der 19. Mai gehört in der Tabakwirtschaft nicht
unbedingt zu den Jubeltagen. Vor drei Jahren trat die
EU-Tabakrichtlinie in Kraft, die zwei Jahre später dann auch in
Deutschland umgesetzt wurde. Seit dem 19. Mai 2016 mussten sich
Raucher daher hierzulande daran gewöhnen, dass Zigaretten- und
Tabakschachteln mit großen Schockbildern und Warnhinweisen versehen
werden. An diesem Freitag folgt der nächste Schritt: Dann läuft die
Frist aus, in der die letzten Alt-Verpackungen noch ohne Gruselfotos
im Handel geduldet wurden. Doch damit nicht genug. Jetzt soll es auch
der Tabak-Automatenbranche an den Kragen gehen.

Noch gibt es sie, Schachteln im alten Design ganz ohne großflächige
Bilder von faulenden Raucherbeinen, schwarzen Zahnstümpfen oder
zerfressenen Lungen. Es sind letzte Auslaufmodelle, die noch schnell
massenweise nach den alten Regeln gedruckt worden waren. Nach
Darstellung der Zigarettenindustrie haben die großen Hersteller
bekannter Marken ihre Produktion längst umgestellt. Es seien eher
kleinere Hersteller, die die Abverkaufsfrist noch genutzt hätten.

Der Streit zwischen Tabakbranche und Politik ist damit aber nicht
beendet. Der Deutsche Zigarettenverband beklagte schon vor
Inkrafttreten der schärferen Regeln eine Benachteiligung gegenüber
Konkurrenten. Vor allem in den osteuropäischen Nachbarländern hätte
n
Hersteller mehr Zeit für die Umstellung erhalten, sagt
Geschäftsführer Jan Mücke. In einigen EU-Ländern gebe es nach wie v
or
keine Schockbilder, teils gebe es nicht mal das Gesetz dazu.

«Deutschland ist mal wieder der Musterknabe gewesen», sagt Mücke.
Durch die aus Sicht der Branche zu kurze Frist für die Umrüstung der
Maschinen seien kleinere Unternehmen in existenzielle Nöte geraten.
Ein Verfahren sei noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig.

Von der Wirksamkeit der Schockbilder ist Zigaretten-Lobbyist Mücke
ohnehin nicht überzeugt: «Sie zeigen so gut wie keine Wirkung.» Einen

leichten Rückgang des Tabakkonsums habe es schon davor gegeben.
Genaues könne man aber erst sagen, wenn die Abverkaufsfrist
ausgelaufen ist - und auch in anderen EU-Ländern die Vorgaben
umgesetzt sind. Schon jetzt sei aber eine Zunahme der nicht in
Deutschland versteuerten Zigaretten zu beobachten - insbesondere in
Grenzregionen zu Polen. In Berlin werde mittlerweile gut die Hälfte
der gerauchten Zigaretten nicht hierzulande versteuert und komme aus
dem Ausland.

Unruhe herrscht beim Bundesverband Deutscher Tabakwaren-Großhändler
und Automatenaufsteller (BDTA). Auslöser ist die «Zweite Verordnung
zur Änderung der Tabakerzeugnisverordnung». Hinter dem sperrigen
Namen verbergen sich neue Vorgaben, die letztlich dazu führen
könnten, dass Zigarettenautomaten im herkömmlichen Design bald
ausgedient haben. Es geht darum, dass die großen Warnhinweise und
abschreckenden Fotos auf den Schachteln auch beim Verkauf nicht
verdeckt sein dürfen - etwa durch geschickt platzierte
Vorsteck-Karten in Verkaufsregalen. Und auch nicht in Automaten.

Weshalb die Politik Druck macht. Die Warnhinweise dürften «zum
Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht teilweise oder vollständig
verdeckt werden», heißt es beim Bundeslandwirtschaftsministerium, das
an einer Ministerverordnung sitzt und auf einen Vorstoß der
Bundesländer verweist. Die vom Bundesrat beschlossene Ergänzung diene
der Klarstellung.

Im Länderkammer-Beschluss vom 12. Mai heißt es: «Eine Verdeckung der

«Schockbilder» durch die Händler im Vorfeld des Kaufs hat somit zu
unterbleiben - nicht nur bei einem Angebot im Tabakwarenregal,
sondern auch im Fall des Anbietens von Tabakerzeugnissen in
Automaten.» Im Klartext: Automaten müssen das sichtbar machen, sonst
sind sie nicht mehr «verkehrsfähig».

Wie das umgesetzt werden soll, darüber rätselt die Branche, die nach
eigenen Angaben noch 330 000 Zigarettenautomaten betreibt. Diese
spielen vor allem in kleineren Städten und auf dem Land noch eine
Rolle, wo es kaum Spätverkaufsstellen oder nur wenig
Rund-um-die-Uhr-Tankstellen gibt. Von 75,02 Milliarden
Fabrikzigaretten mit einem Umsatz von 20,521 Milliarden Euro seien
2016 gerade noch gut 11 Prozent über Automaten abgesetzt worden,
heißt es. Auch diesmal wird um Übergangsfristen gestritten.

Dafür kann die Branche an anderer Stelle weiter auf Entwarnung
hoffen. Das ab 2020 geplante und vom Kabinett beschlossene
Tabakwerbeverbot von Verbraucherschutzminister Christian Schmidt
(CSU) dürfte nach Widerstand auch aus der CDU/CSU kaum noch in dieser
Wahlperiode vom Bundestag beschlossen werden. Zu groß scheint die
Sorge, dass ein Werbungsverbot für ein legales Produkt größere Kreise

zieht: Es könnten Verbote für Süßwaren und Getränke folgen.