Trippelschritte Richtung Ausgang: Verringert die EZB die Geldflut? Von Friederike Marx und Jörn Bender, dpa

26.10.2017 05:30

Selten ist ein Treffen des EZB-Rates mit so viel Spannung erwartet
worden. Die Hoffnungen sind groß, dass die Notenbank das Ende ihrer
ultralockeren Geldpolitik einläutet. Was wären die Folgen?

Frankfurt/Main (dpa) - Wann wagt die Europäische Zentralbank (EZB)
den Einstieg in den Ausstieg aus ihrer ultralockeren Geldpolitik? Das
fragen sich Deutschlands Sparer. An diesem Donnerstag dürfte der
EZB-Rat erstmals konkret werden. «Wahrscheinlich wird der Großteil
der Entscheidungen im Oktober getroffen», hatte Notenbank-Präsident
Mario Draghi Anfang September angekündigt. Mehr als Trippelschritte
erwarten Beobachter allerdings nicht.

Was könnten die ersten Maßnahmen sein?

Ökonomen rechnen damit, dass die Notenbank zunächst ihre
milliardenschweren Wertpapierkäufe herunterfährt, um sie gegen Ende
2018 auslaufen zu lassen. Auch weil das Angebot an Papieren, die die
Währungshüter nach eigenen Regeln erwerben dürfen, bald an seine
Grenzen stoßen wird. «Aber Draghi wird eine Menge Beruhigungspillen
verteilen», meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. So werde er

wohl keinen genauen Zeitpunkt für das Ende der Käufe nennen. Derzeit
erwerben die Währungshüter jeden Monat Staatsanleihen und andere
Papiere für 60 Milliarden Euro. Das gigantische Kaufprogramm soll
nach bisheriger Planung bis mindestens Ende 2017 laufen.

Wann steigen die Zinsen wieder?

EZB-Präsident Draghi betont immer wieder, dass die Zinsen nach dem
Ende der Anleihekäufe noch lange niedrig bleiben werden. Parken
Institute Geld bei der Notenbank, kostet sie das 0,4 Prozent
Strafzinsen. Nach Einschätzung von Berenbank-Chefvolkswirt Holger
Schmieding dürfte die Notenbank gegen Ende 2018 zunächst den
Strafzins verringern. Eine Erhöhung des Leitzinses, zu dem sich
Geschäftsbanken bei der EZB Geld leihen, erwartet er erst 2019. Seit
März 2015 liegt der Zins auf dem Rekordtief von null Prozent.

Was heißt das für Sparer?

Sie werden sich zunächst weiter mit mickrigen oder gar keinen Zinsen
für Tagesgeld, Sparbuch und Co. begnügen müssen. Da die Zeiten einer

Inflation nahe Null seit geraumer Zeit vorbei sind, verlieren Sparer
unter dem Strich Geld. In Deutschland lag die Jahresinflation mit 1,8
Prozent im September über dem EU-Schnitt von 1,5 Prozent. Manchen
Sparern drohen zudem Strafzinsen auf ihre Einlagen. Nach einer
Umfrage von Bundesbank und Finanzaufsicht Bafin will künftig jedes
zwölfte Geldhaus Negativzinsen auf Einlagen von Privatkunden erheben.
Den Instituten brechen wegen des Zinstiefs Erträge weg, darum drehen
sie an der Gebührenschraube und geben teils auch Strafzinsen weiter.

Welche Folgen hat die Verringerung der Anleihenkäufe?

Für Immobilienkäufer könnte die Zeit des ultrabilligen Geldes
allmählich zu Ende gehen. Die Zinsen von Hypothekendarlehen in
Deutschland orientieren sich vor allem an der Verzinsung von
Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit. Verringert die Notenbank
ihre Wertpapierkäufe, könnten die Zinsen dieser Papiere steigen.
Einen rasanten Zuwachs erwarten Ökonomen allerdings nicht.

Wem hilft die Geldflut?

Staaten im Euroraum kommen dank Geldschwemme und Nullzinsen billiger
an Geld. Das hilft auch starken Volkswirtschaften wie Deutschland.
Nach Berechnungen der Deutschen Bank dürfte der deutsche Staat
zwischen 2008 und 2016 fast 260 Milliarden Euro an Zinsen eingespart
haben. Für Staaten könnte es künftig etwas teurer werden, sich Geld
am Kapitalmarkt zu leihen. Commerzbank-Ökonom Krämer argumentiert
allerdings auch: «Die Phase der extrem lockeren Geldpolitik ist noch
lange nicht vorbei. Die Staatsanleihen der hochverschuldeten Länder
dürften daher kaum leiden.»

Warum agiert die EZB so vorsichtig?

Ein plötzliches Ende der milliardenschweren Anleihenkäufe und eine
unerwartete Zinserhöhung könnten an den Kapitalmärkten massive
Turbulenzen auslösen. Aktienkurse dürften dann in den Keller
rauschen, die Renditen von Staatsanleihen in die Höhe schießen.
Gerade für angeschlagene Eurostaaten würde es dann deutlich teurer,
sich Geld am Markt zu leihen. Eine plötzliche Kehrtwende könnte zudem
Verbraucher und Firmen verunsichern und so die Konjunkturerholung im
Euroraum gefährden. Die EZB muss also behutsam vorgehen, traditionell
legen Marktteilnehmer jedes Wort Draghis auf die Goldwaage.

Warum hat die EZB die Geldschleusen überhaupt so weit geöffnet?

Mit dem billigem Geld versucht die Notenbank seit Jahren, der
Konjunktur auf die Sprünge zu helfen und zugleich die Teuerung
anzuheizen. Mittelfristig strebt die Notenbank eine jährliche
Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug entfernt
von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise
könnten Unternehmen und Verbraucher dazu bringen, Investitionen
aufzuschieben - das würde die Konjunktur abwürgen. Im September lag
die Inflation im Euroraum bei 1,5 Prozent, die Konjunktur hat
deutlich an Tempo gewonnen. «Wann, wenn nicht jetzt sollte der
Ausstieg aus den «ungewöhnlichen Maßnahmen» überhaupt noch
gelingen?», mahnte Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon jüngst.

Was sind die Risiken der ultralockeren Geldpolitik?

Beobachter befürchten, dass sich «Blasen» beispielsweise an Aktien-
oder Immobilienmärkten bilden - sprich: die Preise blähen sich an
diesen Märkten über ein gesundes Maß hinaus auf. Deutsche-Bank-Chef
John Cryan betonte jüngst, das viele billige Geld der Notenbanken
habe den Finanzmärkten in den zurückliegenden Krisenjahren
unbestritten geholfen, aber «die lockere Geldpolitik führt zu immer
größeren Verwerfungen». Zudem warnen Ökonomen, die Reformbereitscha
ft
der Euroländer könnte erlahmen. «Kein Eurostaat ist zur Finanzierung

seiner Defizite neben der EZB noch auf andere Kreditgeber
angewiesen», erläutert Friedrich Heinemann vom Zentrum für
Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).