AfD-Chef Meuthen kündigt Wechsel ins Europaparlament an

07.11.2017 20:30

Beatrix von Storch ist für die AfD in den Bundestag gegangen. Dadurch
wurde ihr Mandat im Europaparlament frei. Jetzt hat Meuthen
überraschend zugegriffen. Er will gleichzeitig noch eine Zeit im
Stuttgarter Landtag bleiben. Das ist rechtlich erlaubt.

Stuttgart/Berlin (dpa) - Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen will
Abgeordneter seiner Partei im Europäischen Parlament werden. «Ich
gebe damit den von mir sehr gern wahrgenommenen und gut dotierten
Fraktionsvorsitz im Stuttgarter Landtag auf», schrieb er am Dienstag
in einer E-Mail an seine Parteikollegen. Er wolle den Vorsitz in
Stuttgart zum 30. November abgeben. Sein Landtagsmandat werde er aber
«für eine notwendige Übergangszeit» behalten.

Er betonte: «Meine Entlohnung als Landtagsabgeordneter, die
sogenannte Abgeordnetenentschädigung, entfällt mit der Annahme des
Europamandats sofort zu 100 Prozent.» Als neuen Chef der
Landtagsfraktion schlug Meuthen seinen bisherigen Stellvertreter vor,
den 62 Jahre alten Bernd Gögel.

Meuthen hatte zuvor bereits angekündigt, er wolle auf dem
Bundesparteitag am 2. Dezember in Hannover erneut für den
Parteivorsitz kandidieren. Wer sonst kandidieren wird, ist noch
unklar. Die zweite Parteivorsitzende, Frauke Petry, hatte der AfD
nach der Bundestagswahl Ende September den Rücken gekehrt. Sie hatte
diesen Schritt unter anderem mit dem Erstarken des rechtsnationalen
Flügels um den Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke begründet.

Das Europa-Mandat übernimmt Meuthen von Beatrix von Storch, die in
den Bundestag gewechselt ist. Bisher war man in der AfD davon
ausgegangen, dass Meuthen von seinem Anspruch, als Nachrücker ins
Europäische Parlament zu wechseln, keinen Gebrauch machen würde. Dann
wäre das Mandat an das Bundesvorstandsmitglied Dirk Driesang aus
Bayern gefallen. Driesang gehört zu den Gründern der «Alternativen
Mitte», einer gemäßigten Strömung innerhalb der AfD.

Driesang zeigte sich enttäuscht von Meuthens Entscheidung. «Ich bin
ein bisschen traurig», sagte er der «FAZ» (Mittwoch). Er werde sich
nun wohl aus der aktiven Politik zurückziehen müssen, da er ohne ein
Mandat seine Parteiverpflichtungen nicht länger mit seiner
beruflichen Tätigkeit als Opernsänger unter einen Hut bringen könne.

Meuthen sagte: «Sollte er sich völlig zurückziehen, würde ich das
bedauern.»

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Witt kritisierte, dass Meuthen sein
Landtagsmandat nicht sofort abgeben will. «Damit nimmt er einem
anderen Parteimitglied den Platz weg», sagte Witt der Deutschen
Presse-Agentur. «Fatal» sei diese Entscheidung auch, weil Meuthen
dieses Verhalten zuvor selbst kritisiert habe - unter anderem bei
Marcus Pretzell, der inzwischen aus der AfD ausgeschieden ist.
Pretzell ist der Ehemann der früheren AfD-Vorsitzenden Petry. Er ist
Abgeordneter des Landtags in Düsseldorf und Mitglied des Europäischen
Parlaments.

Im Südwesten gab es überwiegend Kritik an der Entscheidung Meuthens.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) reagierte auf die
Brüsselpläne des AfD-Fraktionschefs im Stuttgarter Landtag mit
Kopfschütteln. Dies sei ein «merkwürdiger Umgang mit dem
Wählerwillen», sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. «Der Herr

Meuthen führt hier große Reden, und jetzt ist er nicht so richtig
gelandet (in Stuttgart) und geht nach Europa.»

Ganz allgemein zum Thema Doppelmandat äußerte sich auch
Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne): «Grundsätzlich gilt: Das

Mandat ist frei.» Jeder Abgeordnete müsse mit sich selbst ausmachen,
ob und wie er der Verantwortung gegenüber dem Wähler und den
«zeitintensiven Anforderungen eines Vollzeitparlaments» entsprechen
könne.

Die anderen Oppositionsfraktionen - SPD und FDP - warfen Meuthen eine
«Flucht» aus Stuttgart vor. Die SPD forderte Meuthen auf, das Mandat
abzugeben. Der Teil-Abgang des AfD-Chefs zeige, dass er seine
zerstrittene Landtagsfraktion nicht im Griff habe, teilte die SPD
mit. Es sei das Eingeständnis eines «Scheiterns», meinten
SPD-Landeschefin Leni Breymaier und Fraktionschef Andreas Stoch in
einer gemeinsamen Mitteilung. Meuthen sei als Vorsitzender isoliert.
Von einer «Flucht vor der eigenen Überforderung» sprach
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Meuthen habe nicht einen
«einzigen inhaltlichen Impuls» gegeben, seit er mit seiner Fraktion
dem baden-württembergischen Landtag angehört.