Wie Drogenfahnder gegen die Crystal-Schwemme kämpfen Von Ute Wessels und Michael Heitmann, dpa
20.12.2017 08:17
Am 21. Dezember 2007 verschwanden die Schlagbäume zwischen
Deutschland und Tschechien. Aber die Justizkooperation könnte noch
besser werden, sagt Prags oberster Drogenfahnder. Eine Drogenschwemme
alarmiert die Menschen im Grenzgebiet.
Prag/Waldsassen (dpa) - Vor zehn Jahren hieß es erstmals: freie Fahrt
an der Grenze zu Tschechien. Am 21. Dezember 2007 trat das Land
zusammen mit acht weiteren EU-Staaten dem grenzkontrollfreien
Schengenraum bei. Es gab Feuerwerk und Feiern mit Musik im
Grenzgebiet. Für die Polizei bedeutete der Schritt: Die Kontrollen
verschieben sich von den Staatsgrenzen weiter ins Hinterland.
Doch auch die Dealer und Konsumenten der gefährlichen Droge Crystal
Meth sind seither mobiler geworden. Sie bringen das Pulver mit dem
Auto, per Fahrrad oder zu Fuß auf immer neuen Schmuggelwegen über die
Grenze. «Crystal ist hier ein Riesenthema», sagt Reinhold Schreyer,
Leiter der Polizeiinspektion im oberpfälzischen Waldsassen.
Die Produzenten des hirnschädigenden Methamphetamins, das Bayern und
Ostdeutschland überschwemmt, sitzen meist in Tschechien. Jakub
Frydrych ist der oberste Drogenfahnder des Nachbarlandes. Sein Büro
befindet sich an einem geheimen Ort in Prag. Aus Sicht der Polizei
habe sich die Zahl der Trassen des Schmuggels von chemischen
Grundstoffen und Drogen seit dem Schengen-Beitritt vervielfacht, sagt
er.
Die Zusammenarbeit mit den Kollegen in Bayern und Sachsen lobt der
tschechische Kriminalbeamte als sehr gut. Was Frydrych heute noch
fehlt, das sind Instrumente zur schnellen und engen
Justizzusammenarbeit über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg.
Denn auch die kriminellen Banden seien stärker international
organisiert als früher. «Wir arbeiten mit einem Prozedere, das
furchtbar lange dauert», bemängelt Frydrych.
Der Plan, eine europäische Staatsanwaltschaft einzurichten, geht nach
seiner Ansicht in die richtige Richtung. Die EU-Justizminister hatten
im Juni in einem ersten Schritt den Aufbau einer Europäischen
Staatsanwaltschaft für Finanzkriminalität beschlossen. An dem Projekt
mit Start im Jahr 2020 wollen sich auch Tschechien und Deutschland
beteiligen.
Doch warum ist es so schwer, die Produktion der tödlichen
Billig-Droge einzudämmen? Sein Team decke in Tschechien jährlich 250
bis 350 Crystal-Labors auf, das sei selbst im europaweiten Vergleich
kein schlechtes Ergebnis, erklärt Frydrych und räumt ein: «Sicherlich
ist es auch eine Frage der Kapazitäten.» Immerhin wurde sein Personal
zuletzt um 150 Mitarbeiter aufgestockt.
Die Profi-Kriminellen haben ihre Tricks: «Das sind organisierte
kriminelle Banden, in denen jedes Mitglied seine Aufgabe hat, was
Chemikalien und Grundstoffe, Logistik und Transport angeht», sagt
Frydrych. Sie suchten sich abgelegene Immobilien aus, stellten eine
Charge her und kehrten dann für längere Zeit nicht an denselben Ort
zurück. Der finanzielle Anreiz für die Kriminellen sei groß: Der
Reingewinn liegt demnach bei rund 12 000 Euro für ein Kilo Crystal.
Auch wenn die sogenannten Asienmärkte an den Grenzen Dealer und
Kleinkonsumenten anziehen, gelten sie längst nicht mehr als
wichtigster Umschlagplatz. «Der Hauptstrom in Richtung Deutschland
sind Kuriertransporte», sagt Frydrych. Meist handelt es sich um mehr
oder weniger raffinierte Verstecke in Autos. Der Trend geht dahin,
mehrere Dutzend Kilogramm auf einmal zu schmuggeln.
Die Produktion in Tschechien wird aufgrund der Zahl der dortigen
Drogenabhängigen auf fünf bis sieben Tonnen jährlich geschätzt.
Frydrych sagt ganz offen: «Wir können nur erahnen, welche Menge unser
Territorium verlässt.»
Zumindest ein Teil davon wird abgefangen. Auf einem Parkplatz an der
Grenze bei Waldsassen haben sich die deutschen Polizeibeamten Michael
Eckstein und Michael Windisch mit ihrem Wagen positioniert. Nach
welchem Muster sie Fahrzeuge für Kontrollen stoppen?
«Erfahrungswerte», sagt Landespolizist Eckstein.
Wenn Leute über die Grenze fahren und eine oder zwei Stunden später
zurückkommen, deute das zumindest darauf hin, dass sie wohl an einem
der Asienmärkte einkaufen waren. Gegebenenfalls nehmen die Beamten
einen Drogenschnelltest vor oder lassen das Auto genauer untersuchen.
Die meisten Kontrollierten reagierten locker, sagt Windisch.
Vorsorglich tragen die Beamten unter ihren Anoraks Sicherheitswesten.
«Man weiß ja nie. Bei Drogendelikten geht es im Zweifel um mehrere
Jahre Gefängnis», ergänzt Eckstein. Für Dealer stehe also einiges a
uf
dem Spiel.