Bulgariens Balanceakt Von Elena Lalowa und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

11.01.2018 19:29

Für sechs Monate übernimmt Bulgarien den Vorsitz der 28 EU-Länder. Am

Donnerstag ging es offiziell los. Die Regierung in Sofia will die
Chance nutzen, das Land von der besten Seite zu präsentieren.

Sofia (dpa) - Bulgarien weiß um sein schlechtes Image. Ärmstes Land
der Europäischen Union. Überforderte Institutionen.
Korruptionsgeplagt und deshalb unter besonderer Aufsicht der EU. Aber
sich selbst sieht der 2007 aufgenommene EU-Neuling am südöstlichen
Rand ganz anders.

«Bulgarien ist beispielhaft», sagt Ministerpräsident Boiko Borissow
und lobt den soliden Haushalt und die niedrige Arbeitslosigkeit.
Bulgarien versteht sich als Musterschüler, als Boomland, als Modell
für Vielfalt und Zusammenhalt. Während der sechs Monate im Vorsitz
der 28 EU-Länder will es die Regierung in Sofia allen zeigen.

Das Land mit seinen gut sieben Millionen Einwohnern will endlich als
vollwertiges Mitglied ernstgenommen werden und in den engsten Kreis
der Gemeinschaft vorstoßen: Schon in den ersten sechs Monaten des
Jahres will Bulgarien offiziell die Aufnahme in den Euro beantragen,
wie die Regierung am Donnerstag mitteilte. Und es will endlich in die
grenzkontrollfreie Schengenzone. Für beides sei die Zeit reif.

«Wir haben unsere Hausaufgaben für die Eurozone gemacht», sagte
Borissow. In der Praxis verhalte man sich auch längst wie ein
Schengenmitglied und sichere verlässlich die EU-Außengrenze zur
Türkei. «Ich glaube, dass sowohl Rumänien als auch Bulgarien es
verdienen, Mitglieder der Schengenzone zu werden.»

Die EU-Ratspräsidentschaft bietet Borissow die große Bühne, sich in
der Gemeinschaft zu profilieren. Am Donnerstagabend empfing er die
Spitzen aller EU-Institutionen zum Auftakt im prächtigen
Nationaltheater in Sofia. Unter güldenen Rosetten stimmte ein ernster
Mädchenchor die schwermütige Hymne des Landes an, hinter ihnen auf
EU-blau das bulgarische Motto «Gemeinsam sind wir stark». So begann
für Bulgarien die größte politische Herausforderung seit dem
EU-Beitritt vor gut zehn Jahren - und das in einer für die EU
kritischen Zeit.

«Für unser Land zeichnet sich eine nicht leichte Aufgabe ab»,
analysiert der Thinktank Iwan Hadschijski in Sofia. Einiges hat sich
Borissows Regierung selbst vorgenommen, vor allem die Entspannung des
Verhältnisses zum Nachbarland Türkei und das besondere Augenmerk auf
den westlichen Balkan. Sechs Staaten machen sich dort Hoffnungen auf
einen EU-Beitritt, jedoch vorerst ohne konkrete Perspektive.

Um sie bei der Stange zu halten - und nicht an den Einfluss Russlands
oder Chinas zu verlieren - wirbt Sofia zunächst für Vernetzung, zum
Beispiel über eine Senkung der Roaming-Gebühren wie in der EU. Für
den 17. Mai lädt Borissow die EU-Staats- und Regierungschefs zum
Westbalkan-Gipfel nach Sofia.

Die übrigen großen Themen der nächsten Monate sind mehr oder weniger

vorgegeben: die Brexit-Verhandlungen, das komplizierte Schachern um
den nächsten EU-Finanzrahmen und die Migrationspolitik. Dabei will
sich Sofia unter dem Motto «Einig sind wir stark» als Vermittler
versuchen. Bis Juni soll ein Kompromiss in der Asylpolitik stehen -
ein heikles Thema, an dem sich schon die drei vorherigen Präsidenten
Slowakei, Malta und Estland die Zähne ausgebissen haben.

Im Gegensatz zu den Staaten der Visegrad-Gruppe - Polen, Tschechien,
Slowakei und Ungarn - steht Bulgarien klar hinter der EU-Politik zur
Umverteilung von Flüchtlingen. In Sofia hat Borissow zwar die
national-populistischen Vereinigten Patrioten als Juniorpartner im
Kabinett. Doch verzichten sie auf flüchtlingsfeindliche Rhetorik.
«Brüssel-Bashing» ist ebenfalls nicht zu hören.

Denn die Bulgaren sind mehrheitlich EU-freundlich gesinnt - zum 10.
Jahrestag des Beitritts befürworteten vergangenes Jahr in einer
Umfrage 77 Prozent die EU-Mitgliedschaft. Für die zum Ratsvorsitz
herausgegebenen Gedenkmünzen standen Bürger Anfang Januar Schlange.

Viele sehen in Brüssel einen Verbündeten, der hilft, die Zustände im

Land zu verbessern. Mit der EU-Ratspräsidentschaft verbinden Bürger
große Hoffnungen - vielleicht nicht immer ganz realistische. «Die
Gehälter sollen so hoch werden wie in den anderen EU-Staaten»,
wünschte sich eine Frau im Staatsradio in Sofia.

Die sozialistische Opposition will das internationale Rampenlicht für
einen Misstrauensantrag gegen die Regierung nutzen, wegen
unzureichender Korruptionsbekämpfung - auch in Brüsseler Augen ein
Hauptproblem des Landes. Doch Borissow gibt sich als überzeugter
Mustereuropäer: «Wir sind als Regierung den europäischen Werten
verpflichtet und handeln nach ihnen.»

Denn er braucht Unterstützung für seine Pläne - den Beitritt in die
Schengen- und die Eurozone. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker weiß er bereits an seiner Seite. «Euer Platz ist in Europa
und euer Platz ist in Schengen und euer Platz ist im Euro»,
bekräftigte Juncker beim Festakt in Sofia. Das Land könne auf die
EU-Kommission zählen.

In Deutschland sind die Bedenken jedoch groß. Der CSU-Politiker
Markus Söder nannte die Idee eines Beitritts Bulgariens zur Eurozone
noch im September absurd. Auch für die Bundesregierung steht das
nicht auf der Tagesordnung. Aber das müsse ja nicht das letzte Wort
sein, findet Bulgarien, schon gar nicht nach einer erfolgreichen
EU-Ratspräsidentschaft.