Nach Nazivergleich: Pole verliert Posten als EU-Parlaments-Vize Von Violetta Kuhn und Natalie Skrzypczak, dpa
07.02.2018 16:03
Paukenschlag im EU-Parlament: Die Abgeordneten entfernen einen der 14
Vizepräsidenten aus dem Amt. Er hatte gegen eine Landsmännin gehetzt.
Einige Kritiker halten seine Absetzung für Zensur.
Straßburg (dpa) - Es ist eine der schlimmsten Beleidigungen, die man
jemandem in Polen an den Kopf werfen kann: «Szmalcownik». Der Begriff
bezeichnet Menschen, die in der Nazi-Zeit Helfer von Juden erpressten
oder sie an die Nationalsozialisten verrieten. Genau dieses Wort hat
der polnische Europapolitiker Ryszard Czarnecki gegenüber einer
ebenfalls polnischen EU-Abgeordneten gebraucht - und bekommt nun
Konsequenzen zu spüren.
Der Politiker verlor am Mittwoch seinen Posten als Vizepräsident des
EU-Parlaments. Die Europaabgeordneten stimmten mit großer Mehrheit
für die Absetzung des nationalkonservativen Politikers der Partei
Recht und Gerechtigkeit (PiS). Es ist das erste Mal in der Geschichte
des EU-Parlaments, dass ein Amtsträger nach Artikel 21 der
Geschäftsordnung aus seiner Position entfernt wird. Die
Fraktionsvorsitzenden mehrerer Europa-Parteien hatten darauf gepocht.
Czarnecki bleibt nun Abgeordneter, für den Posten als Vizepräsident
muss ein neuer Kandidat gefunden werden.
Aus Polen wurden schon vor der Abwahl Stimmen laut, die dem Parlament
vorwarfen, innenpolitische Debatten zensieren zu wollen. Dem
widersprach Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen
Volkspartei: «Jeder frei gewählte Abgeordnete darf frei seine Meinung
sagen. Aber wir sprechen hier nicht von einem einfachen, normalen
Abgeordneten, sondern von einem Vertreter der Gesamtinstitution.»
Czarnecki habe sich in «inakzeptabler Weise» über Kollegen geäuße
rt,
sie beschimpft und verunglimpft. Daher sei seine Abwahl richtig.
Auslöser für Czarneckis Attacken gegen die liberalkonservative Roza
von Thun war deren Auftritt in einer deutschen TV-Dokumentation, in
der sie vor den umstrittenen Reformen der PiS-Regierung und deren
Gefahr für Polens Demokratie warnte.
Nach seiner Abwahl zeigte Czarnecki sich unbeeindruckt. «Ich bin
meinen Ansichten treu geblieben und bleibe bei meiner negativen
Haltung gegenüber Politikern, die sich über Polen beschweren», sagte
er im polnischen Fernsehsender TVP.
Von Thun selbst sagte nach einem Bericht der polnischen
Nachrichtenagentur PAP, die Abgeordneten der PiS würden sich im
Europa-Parlament nicht an die gemeinsamen Regeln halten, «sie leben
in einer anderen Welt». Das sei für die EU und Polen sehr schädlich.
Wer sich gegen Polens nationalkonservative Regierung stellt, wird von
ihren Anhängern, aber auch regierungsnahen Medien, oft scharf
kritisiert. Der schwächelnden Opposition wird vorgeworfen,
Regierungskritik im Ausland zu Wahlkampfzwecken zu benutzen.