Genfer Autosalon: Europa first Von Roland Losch, dpa, und Marco Engemann, dpa-AFX

28.02.2018 15:08

Im Fernen Osten lockt das große Wachstum. Aber Europa ist für die
deutschen Autohersteller ein sicherer Hafen. Trotz Dieseldebatten,
CO2-Sorgen und Brexit.

Genf (dpa) - Die möglichen Diesel-Fahrverbote in deutschen Städten
liefern der europäischen Autoindustrie auf dem Genfer Autosalon
nächste Woche reichlich Gesprächsstoff. Der Präsident des
europäischen Branchenverbandes Acea, Peugeot-Citroën-Chef Carlos
Tavares, hat gerade erst beklagt: «Der rasche Rückgang des
Dieselanteils auf dem europäischen Markt, der mit einem höheren
Anteil von Benzin mit höherem CO2-Ausstoß einhergeht, stellt eine
ernste Herausforderung dar für das Erreichen der CO2-Ziele.» Und das
könnte teuer werden.

Der größte Markt für die deutschen Autohersteller ist heute immer
noch Europa. Hier haben sie im vergangenen Jahr rund 7,5 Millionen
Autos verkauft - mehr als in China und den USA zusammen. Für das
laufende Jahr erwartet Acea in Europa ein Prozent Wachstum - wenig,
aber immerhin zum fünften Mal in Folge. Und der Start ins Jahr war
gut, mit sieben Prozent Plus. Soweit sind die Vorzeichen für die
erste europäische Automesse des Jahres (8. bis 18. März) eigentlich
ganz gut.

«Der europäische Markt bringt keine großen Gewinne - vor allem für

Massenhersteller», sagt Auto-Experte Wolfgang Bernhart von der
Unternehmensberatung Roland Berger. «Diese kommen zum großen Teil aus
China. Die hohen Margen werden aber in Zukunft nicht mehr so einfach
zu haben sein.» Die langfristige Wettbewerbsposition im Markt mit dem
schnell wachsenden Elektroauto-Absatz müsse überdacht werden. «Bisher

tauchen deutsche Hersteller in der E-Absatzstatistik des Landes so
gut wie gar nicht auf.» Und es sei immer ein Risiko, sich zu abhängig
von den Chinesen zu machen. Europa spiele weiter eine große Rolle.

Aber der sinkende Diesel-Anteil und der Brexit machen der Branche
Sorgen. 2017 kauften die Europäer erstmals seit 2009 wieder mehr
Benziner als Dieselautos. Die Diesel-Debatte spielt im übrigen im
Rest Europas weniger eine Rolle als in Deutschland. «In Italien und
Spanien geht der Diesel-Anteil sogar hoch», sagt
Deutsche-Bank-Chefanalyst Andreas Neubauer. Allerdings ist
Deutschland mit 3,4 Millionen verkauften Autos im vergangenen Jahr
weiterhin der größte Markt in Europa, gefolgt von Großbritannien und

Frankreich. Und in Deutschland und Frankreich sinkt die
Diesel-Nachfrage.

Weil Benziner mehr verbrauchen und 15 Prozent mehr Treibhausgas CO2
ausstoßen als Dieselwagen, ist das ein Problem. «Dies gilt gerade
auch für die deutschen Premiumhersteller BMW, Mercedes und Audi mit
weit überdurchschnittlichen Dieselanteilen», erklärt Professor Stefan

Bratzel vom Autoinstitut CAM. Bei BMW etwa sank die Diesel-Nachfrage
in Europa im vergangenen Jahr von knapp 70 auf gut 60 Prozent.

Wenn die Autofahrer mehr Benziner kaufen, drohen den Konzernen bald
hohe Strafzahlungen in der EU, weil sie die CO2-Vorgaben verfehlen.
Ziel der EU-Kommission von 2021 an sind 95 Gramm. Hersteller größerer
Autos wie Daimler, Audi, BMW dürfen etwas darüber liegen. Bei
Mercedes-Benz etwa stieg der Ausstoß neu verkaufter Wagen im
vergangenen Jahr aber im Schnitt von 123 auf 125 Gramm pro gefahrenem
Kilometer - vor allem weil die Kunden mehr SUVs kaufen.

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hat einmal durchgerechnet, was
auf die Autobauer zukommen könnte. Ohne Batterieautos müsste BMW
demnach bald mit jährlichen Strafzahlungen von 1,1 Milliarden,
Mercedes mit 1,2 Milliarden und der VW-Konzern mit fast 4 Milliarden
Euro rechnen. Für Elektroautos aber bekommen die Autobauer bei der EU
zusätzliche Bonuspunkte. Die Gewinnmarge ist zwar kleiner als bei
Verbrennern. Doch ein E-Auto habe für sie gut 10 000 Euro Zusatzwert,
weil es Strafzahlungen vermeiden helfe, erklärt Dudenhöffer.

Heute spielen Elektroautos in Europa noch keine große Rolle. Von 15,1
Millionen im vergangenen Jahr neu zugelassenen Autos waren 853 000
Fahrzeuge Hybride oder Elektroautos. Reine Elektrofahrzeuge kamen auf
1,4 Prozent. Aber das dürfte sich bald stark ändern. Experte Bratzel
rechnet 2020 mit einem Marktanteil von 5 Prozent in Deutschland und
in Europa, 2025 mit 16 Prozent. Der rasch wachsende chinesische Markt
sei der globale Taktgeber für das Elektroauto.

Der US-Konzern Tesla und chinesische Start-ups mit ihren Elektroautos
finden sich oft im Rampenlicht. Dabei stehen deutsche Autobauer nach
Expertenmeinung bei den Zukunftstechnologien gut da. «Die deutschen
Hersteller sind, was Elektromobilität und autonomes Fahren angeht,
vorne mit dabei», sagt Analyst Neubauer. Bei Verbrauch und Reichweite
seien die chinesischen Hersteller noch nicht wettbewerbsfähig, da
haben BMW, Audi und Mercedes-Benz die Nase vorn.

Demnächst wird noch eine andere Großbaustelle für die europäische
Autoindustrie wieder in den Fokus rücken: der Brexit. In
Großbritannien sank die Nachfrage nach dem Votum für einen
EU-Austritt um sechs Prozent. Für die Autoindustrie sei es schwer,
über Investitionen zu entscheiden, wenn man nicht wisse, was
eigentlich kommt, klagte Acea-Präsident Tavares.

Autokonzerne planen schon mal Materiallager und Abstellplätze auf
beiden Seiten des Kanals, als Puffer, falls die Zoll-Abfertigung an
den Grenzen stockt. «Nicht nur der Brexit, sondern auch die
angedrohten Einschränkungen des Freihandels aus den USA erfordern
eine flexible Produktionsstrategie», sagt Roland-Berger-Experte
Bernhart. «Autohersteller können nicht mehr wie früher 5 bis 10 Jahre

im Voraus planen.»