Übermächtig in Brüssel? Deutsche auf Spitzenposten in der EU Von Michel Winde, dpa
27.03.2018 13:58
Tanzt die EU nach deutscher Pfeife? Diese Kritik gibt es immer
wieder. Seit der undurchsichtigen Blitzbeförderung des
Juncker-Vertrauten Martin Selmayr ist sie besonders laut.
Brüssel (dpa) - 22 Minuten hat es gedauert, bis die Macht der
Deutschen in der EU-Hauptstadt Brüssel wieder ganz oben auf der
Tagesordnung stand. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und
Haushaltskommissar Günther Oettinger hatten gerade verkündet, dass
der deutsche Jurist Martin Selmayr Generalsekretär der EU-Kommission
werden solle. Da fragte ein spanischer Journalist, ob das nun eine
zwischen den Staaten ausgewogene Besetzung von Posten sei. Die
Debatte treibt die Gemüter in Brüssel bis heute um.
Martin Selmayr gilt als einer der engsten Vertrauten des
Konservativen Juncker und steht der CDU nahe. Ende Februar wurde er
in einem undurchsichtigen Verfahren vom Kabinettschef Junckers zum
Generalsekretär der EU-Kommission. Seit März steht er an der Spitze
der Behörde mit rund 32 000 Beamten.
Mittlerweile untersucht auch das Europaparlament den Fall. Dabei soll
es zwar hauptsächlich um die Art der Berufung gehen - allerdings ist
vielen auch ein Dorn im Auge, dass der 47-Jährige Deutscher ist. Der
für Personal zuständige Oettinger sagte dazu schon im Februar:
«Martin Selmayr ist zwar ein Deutscher, das stimmt, aber mit
Sicherheit kein Undercover-Agent der deutschen Politik.» Ohnehin
stünden Qualifikation und Kompetenz bei Personalentscheidungen im
Vordergrund.
«Ich finde, dass es irgendwann nicht mehr schön aussieht», sagt
hingegen der Luxemburger Europapolitiker Frank Engel, der wie Juncker
und Oettinger der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP)
angehört. Dieser Eindruck wirke sich negativ auf das Image der EU
aus. Auch hinter den Kulissen in Brüssel macht sich Unmut breit.
Auf den ersten Blick ist die Lage eindeutig: Etliche EU-Spitzenposten
sind in deutscher Hand. Das EU-Parlament und der Auswärtige Dienst
haben deutsche Generalsekretäre. Außerdem werden Finanzinstitutionen
wie der Europäische Rechnungshof, die Europäische Investitionsbank
und der Europäische Stabilitätsmechanismus von Deutschen geführt.
Hinzu kommt, dass vier von sieben Fraktionschefs im Europaparlament
Deutsche sind. Und jetzt auch noch Selmayr.
«Wenn man das alles zusammenrechnet, entsteht ein Eindruck: Die
Deutschen sind zwar Demokraten geworden, aber ansonsten dominieren
sie trotzdem den europäischen Verein», sagt Engel.
Die Macht der Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kreis der Staats- und
Regierungschefs ist unbestritten. Mit mehr als 80 Millionen
Einwohnern ist Deutschland ohnehin das bevölkerungsreichste Land der
EU und hat die größte Wirtschaftskraft. Vor allem kleinere Staaten
fühlen sich oft gegängelt - etwa in der Euro-Schuldenkrise.
Merkel selbst hat einen anderen Blick. In Deutschland gebe es sogar
Diskussionen darüber, «dass wir gar nicht so breit vertreten sind bei
bestimmten Positionen», sagte sie vergangene Woche nach dem EU-Gipfel
in Brüssel. Man müsse die ganze Breite an Posten sehen, dann
relativiere sich der Eindruck.
Zu wenige Deutsche im Brüsseler Apparat? Aktuelle Daten der
EU-Kommission zeigen: Auf Ebene der Lebenszeitbeamten im höheren
Dienst der Behörde besetzt die Bundesrepublik 10 Prozent der Posten -
bei einem EU-Bevölkerungsanteil von 16 Prozent. Auf allen Ebenen sind
es 7,2 Prozent, wohingegen Frankreich mehr als 10 Prozent und Italien
sogar 13 Prozent der Posten besetzt. Dies sind allerdings keine
politischen Stellen, bei denen der Verdacht des Postengeschachers
aufkommen könnte.
Welchen Stellenwert die Postenvergabe hat, zeigt der jüngste Bericht
der Bundesregierung zur deutschen Personalpräsenz in internationalen
Organisationen. Eine «quantitativ und qualitativ angemessene deutsche
Präsenz» sei wichtig «für die Wahrnehmung unserer Interessen im
internationalen Rahmen und für die Mitgestaltung globaler Fragen»,
heißt es da. Die Vernetzung deutscher Beschäftigter auf
internationaler Ebene könne zur Umsetzung politischer Inhalte sowie
zur Durchsetzung nationaler Interessen beitragen.
Deshalb schaut Deutschland dem Personalkarussell in Brüssel nicht
tatenlos zu. Die Vertretung bei der EU organisiert Informations- und
Netzwerkveranstaltungen. Außerdem biete das Auswärtige Amt «stark
nachgefragte Vorbereitungsseminare und Coachings für Bewerberinnen
und Bewerber bei den EU-Auswahlverfahren durch einen externen
Dienstleister», heißt es in dem Bericht der Bundesregierung.
Beim Generalisten-Concours - dem allgemeinen Auswahlverfahren der EU
- habe die Quote der erfolgreichen deutschen Teilnehmer 2015 bei 20,8
Prozent gelegen - obwohl nur knapp 7 Prozent der Bewerber Deutsche
waren. «Die Vorbereitungskurse und Coachings dürften wesentlich zu
diesem Erfolg beigetragen haben.»
Noch mehr Deutsche an wichtigen Schaltstellen der EU? Außerhalb von
Deutschland überwiegt Skepsis. EVP-Politiker Engel sagt, der aktuelle
Eindruck wirke sich negativ auf die europäische Integration aus.
Deutsche sollten deshalb auf Posten verzichten. «Es wäre gut, wenn
Europa in Führungspositionen in der Beamtenschaft etwas bunter wäre.»