Sperrklausel für EU-Wahlen: Bundestagsjuristen warnen vor hoher Hürde

21.09.2018 05:55

CDU und SPD würden Kleinstparteien wie die Piraten am liebsten
bereits 2019 aus dem Europaparlament verbannen. Doch dass dies
gelingt, erscheint mittlerweile so gut wie ausgeschlossen. Jetzt
haben auch noch Rechtsexperten des Bundestages ihre Daumen gesenkt.

Berlin/Brüssel (dpa) - Im Kampf gegen eine neue Sperrklausel für die
Europawahlen bekommen deutsche Kleinstparteien wie Freie Wähler und
Piraten Rückendeckung von den Rechtsexperten der Wissenschaftlichen
Dienste des Bundestages. In einer aktuellen Analyse, die der
Deutschen Presse-Agentur vorliegt, vertreten die unabhängigen
Fachleute die Auffassung, dass der deutsche Gesetzgeber bei der
Wiedereinführung einer Hürde weder zeitlich noch der Höhe nach über

«das europarechtlich Zwingende» hinausgehen darf.

Konkret ist demnach lediglich eine Sperrklausel in Höhe von zwei
Prozent vorstellbar. Zudem dürfte sie frühestens zur Europawahl 2024
eingeführt werden.

Ihre Skepsis gegenüber einer höheren Hürde und einer früheren
Einführung begründen die Rechtsexperten mit Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat nationale Sperrklauseln für die
Wahl zum Europäischen Parlament bereits zweimal gekippt, indem es sie
als unzulässigen Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit
und der Chancengleichheit der Parteien bewertete.

Um dennoch wieder eine Hürde in Deutschland einführen zu können,
überzeugte die Bundesregierung zuletzt die anderen EU-Staaten, über
das EU-Wahlrecht eine verbindliche Hürde in Höhe von mindestens zwei
und höchstens fünf Prozent einzuführen. Dies funktionierte vor allem

deswegen, weil sie so konzipiert wurde, dass sie nur Deutschland und
mit Einschränkungen Spanien betrifft.

Ihr Eintreten für eine Wiedereinführung der Sperrklausel für die
Europawahl begründen CDU und SPD mit der Sorge vor einer
Zersplitterung des EU-Parlaments. Die Kleinstparteien und
Linken-Politiker halten dies allerdings für Quatsch und gehen davon
aus, dass es CDU und SPD nur darum geht, die möglicherweise frei
werdenden Sitze selbst besetzen zu können.

«Zu einer freien Wahl und zur Chancengleichheit gehört, dass man jede
Partei wählen kann ohne Angst haben zu müssen, dass die Stimmen wegen
einer Sperrklausel verloren gehen», kommentierte der
Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Korte zu der neuen Analyse der
Rechtsexperten des Bundestages. Allein die Wählerinnen und Wähler
sollten über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden.

Piratenpartei-Politiker Patrick Breyer sagte: «Wer Bürgern, die von
den etablierten Parteien enttäuscht sind, keine andere Wahl lässt,
treibt sie entweder in die Arme der AfD oder lässt sie insgesamt der
Wahlurne den Rücken kehren.» Beides schade der Demokratie und
gefährde Europa.

Kritiker der Sperrklausel weisen zudem darauf hin, dass sich die
Abgeordneten kleiner Parteien sehr oft einer Fraktion anschließen,
die in etwa ihre politischen Vorstellungen vertritt. Derzeit sind
beispielsweise fünf der sieben deutschen Einzelmandatsträger Mitglied
einer der großen EU-Parlamentsfraktionen.

Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht zuletzt befunden
hatte, dass es im Gegensatz zum Bundestag im Europaparlament gar
nicht so sehr auf stabile Mehrheitsverhältnisse ankomme. Deswegen
gibt es derzeit nur eine Fünf-Prozent-Hürde bei den Bundestagswahlen,
nicht aber bei den Europawahlen.