Lastwagenbauer in Aufruhr - Sorge vor CO2-Plänen der EU Von Roland Losch und Nico Esch, dpa

13.11.2018 10:04

Klimaschutz oder Arbeitsplätze? Die EU-Pläne für den CO2-Ausstoß vo
n
Lastwagen sind ehrgeizig. Ein Spiel mit dem Schicksal Zehntausender
Arbeitnehmer, sagen Betriebsräte. Denn wer soll Lastwagen mit sieben
Tonnen schweren Batterien kaufen?

München/Stuttgart (dpa) - Konzernvorstände und Betriebsräte schreiben

Brandbriefe an die Politik und gehen gemeinsam auf die Barrikaden -
das gibt es nicht alle Tage. Die Pläne der EU, den Spritverbrauch von
Lastwagen per Verordnung um ein Drittel zu senken, sorgt in der
Branche für helle Aufregung. «Mit einer solchen Entscheidung setzt
die EU Zehntausende Jobs alleine in Deutschland aufs Spiel», warnt
Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht.

Sein Kollege Saki Stimoniaris von MAN sieht das genauso. «Wenn es das
Ziel der Europäischen Kommission und der EU-Parlamentarier ist, die
europäische Nutzfahrzeugindustrie zu zerstören, dann handelt sie
richtig», sagt er bitter.

Am Mittwoch (14.11.) entscheiden die Abgeordneten in Straßburg über
den Vorschlag ihres Umweltausschusses, den CO2-Ausstoß von Lastwagen
in den kommenden zwölf Jahren um weitere 35 Prozent zu senken. Bei
Verstößen drohen ungewöhnlich hohe Strafzahlungen - so hoch, dass sie

«selbst große Nutzfahrzeughersteller in ihrer Existenz bedrohen
könnten», wie VDA-Autoverbandschef Bernhard Mattes in Berlin sagte.

Den EU-Abgeordneten im Umweltausschuss und der EU-Kommission geht es
jedoch erst einmal ums Klima. Der Vorschlag «macht die großen
Verschmutzer auf der Straße für mehr Klimaschutz verantwortlich»,
erklärte der niederländische Grünen-Abgeordnete Bas Eickhout. Im
Transportbereich steige der Ausstoß des klimaschädlichen CO2 weiter.
Laut EU-Kommission ist er heute um 19 Prozent höher als 1990, weil
immer mehr Waren auf der Straße transportiert werden.

Stimmt, sagt der europäische Autoherstellerverband Acea, in dem sich
auch die Lkw-Hersteller Daimler, MAN, Scania, Volvo und Iveco
organisiert haben: Der Lastverkehr wächst, das meiste davon rollt
über die Straßen. Aber Lastwagen machten gerade mal 5 Prozent des
CO2-Ausstoßes insgesamt aus.

Und der einzelne Lastwagen fährt immer sparsamer. Die Spritkosten
machen ein Drittel der Betriebskosten aus. Jeder Liter mehr geht vom
Gewinn des Spediteurs ab. Deshalb sind sparsame und damit
emissionsarme Lastwagen für die Spediteure wie für die Lkw-Hersteller
ein klarer Wettbewerbsvorteil. Im Durchschnitt sank der Verbrauch
jedes Jahr um gut ein Prozent - ein schwerer Sattelschlepper schafft
heute 100 Kilometer mit 30 Liter Diesel.

Aber der EU geht das alles zu langsam voran. Soeben haben die
EU-Staaten auf den Vorstoß von Kommission und Parlament hin die
CO2-Werte für Autos bis 2030 um 35 Prozent gesenkt. Warum sollte das
nicht auch bei Lastwagen möglich sein?

Anders als bei Autos sei ein Batterieantrieb für Fernlaster auf
absehbare Zeit nicht marktfähig, sagte VDA-Chef Mattes. Tonnenschwere
Akkus, lange Ladezeiten, notwendige Parkplätze und Ladesäulen - in
der Branche sieht man noch viele Fragezeichen.

Dazu kommt, dass die Entwicklungszyklen bei Lastwagen mit 15 Jahren
doppelt so lang sind wie bei Autos. Die erste CO2-Senkung fordern die
EU-Politiker 2025. «Den Abgeordneten sollte schon klar sein, dass
Lastwagen, die 2025 auf den Markt kommen, heute schon in der
Entwicklung sind», sagte Acea-Generalsekretär Erik Jonnaert.

Bei Verstößen planen die EU-Politiker hohe Strafen. Schon bei einem
Gramm Mehrausstoß kämen auf einen Hersteller mit 40 000 Lastwagen im
Jahr 272 Millionen Euro Strafe zu, rechnet ein Beteiligter vor.
Existenzbedrohend, heißt es in der Branche unisono. «Das Ergebnis
dieser Politik kann sein, dass die europäischen Hersteller vom Markt
verschwinden», sagt MAN-Betriebsratschef Stimoniaris. In den Lkw- und
Motorenwerken von MAN in München und Nürnberg und an den Standorten
von Daimler in Wörth am Rhein, Gaggenau, Mannheim, Stuttgart und
Kassel arbeiten gut 44 000 Menschen.

Aber es träfe nicht nur die Lastwagenbauer, sondern die gesamte
Volkswirtschaft in Europa, weil Gütertransport teurer werde, sagte
Daimler-Vorstand Martin Daum der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».
Das wiederum wäre Gift für das arbeitsteilige Wirtschaftssystem,
«weil ganze Wertschöpfungsketten verlagert werden könnten».

Rückendeckung bekamen die EU-Politiker von der Deutsche-Bahn-Tochter
Schenker. Er würde sich freuen, wenn das EU-Parlament für das
35-Prozent-Ziel stimmen würde, schrieb Schenker-Chef Jochen Thewes in
einem Betrag für den «Tagesspiegel» (Montagausgabe).

Wenn die Abgeordneten am Mittwochnachmittag entschieden haben, sind
die Regierungen der EU-Staaten am Zug. Bei den Autos haben sie die
Parlamentsvorschlag noch etwas abgemildert.