Warum Donald Trump den Brexit will Von Michael Donhauser, dpa

25.05.2019 12:43

Donald Trump will den Brexit - und trifft bei seinem Staatsbesuch in
Großbritannien auf eine Premierministerin, die exakt daran zerbrach.
US-Neoliberale und Brexiteers träumen von einer deregulierten
Wirtschaftsbrücke über den Atlantik. Ohne die Zwangsjacke EU.

Washington/London (dpa) - In Washington sitzt ein Brite, der sich das
Brexit-Debakel in völliger Ruhe ansieht. Die halbe Welt mag mit dem
Kopf schütteln über das Chaos in London, doch er nickt zustimmend.
Nile Gardiner, einst Berater von Premierministerin Margaret Thatcher
und seit Jahren bei der erzkonservativen Denkfabrik Heritage
Foundation der neoliberale Kopf der Brexit-Bewegung in den USA, mag
in diesen Tagen förmlich Häkchen setzen, hinter all den Dingen, die
Europäer nicht so recht verstehen wollen. Theresa Mays Deal im
Parlament gescheitert - Check! Verhandlungen mit Labour-Opposition
gescheitert - Check! May zurückgetreten - Check!

Wenn US-Präsident Donald Trump in gut einer Woche zum Staatsbesuch
auf die Insel reist, hat er viel Grund zur Genugtuung. Der Austritt
Großbritanniens aus der EU läuft nach seinem Geschmack. Und die
Europawahlen, bei denen die Brexiteers offenbar weit vorne liegen,
werden das Bild wohl abrunden. Das zur Schau getragene Mitleid mit
der scheidenden Premierministerin May nehmen ihm nur wenige ab. In
Washington ist klar: Trump will Ex-Außenminister Boris Johnson, der
als Favorit für die Nachfolge Mays gilt, als populistischen Partner
in der Special Relationship - dem besonderen Verhältnis zwischen
einstigem Mutterland und Ex-Kolonie.

Der Weg ist frei für das Szenario, das Nile Gardiner schon entworfen
hatte, als seine Landsleute zu Hause noch nicht einmal abgestimmt
hatten. Ein Szenario, das im Nationalen Interesse der Vereinigten
Staaten sei und für das das Weiße Haus seine hundertprozentige
Rückendeckung gegeben habe, wie er betont: Boris Johnson, der
Rechtsaußen der britischen Konservativen, soll Großbritannien als
Premierminister aus der EU führen - und zwar laut Gardiners Prognose
mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne jeden Deal.

Das freie Spiel der transatlantischen Märkte soll durch nichts und
niemanden eingeengt werden. Keine Zollunion, kein Binnenmarkt, kein
Backstop und kein Euro. Dafür transatlantischer Freihandel ohne
Zölle, mit den zwei mächtigsten Finanzzentren der Welt - Londons City
und New Yorks Wall Street - als Schlagadern.

Die Trump-Regierung tue viel, um einen No-Deal-Brexit zu
unterstützen, sagt Gardiner. «Es gibt sehr viel Unterstützung im
Weißen Haus von Trump.» Und sie tue nichts, um das Europäische
Projekt, die weitere europäische Integration, zu fördern. «Das passt

in die Ideologie dieser Administration», sagt er. Trump setzt auf
nationale Souveränität, nicht auf multinationale Organisationen. «Der

Fokus liegt sehr auf der Arbeit mit Nationalstaaten, manchmal unter
Umgehung der europäischen Institutionen», sagt Gardiner.

Die Heritage Foundation, einen Steinwurf entfernt vom Kapitol
in Washington beheimatet, gilt seit langem als Wegbereiter stramm
konservativer Politstrategien der US-Republikaner. Trumps
Sicherheitsberater John Bolton, ein außenpolitischer Hardliner, ist
etwa ein gerngesehener Gast. Die Stiftung, unter anderem von den
einflussreichen Milliardären Charles und David Koch finanziell
unterstützt, soll schon beim Forcieren des guten Verhältnisses von
Margaret Thatcher und Ronald Reagan ihre Finger im Spiel gehabt
haben.

Trump hält sich gerne an die Ideen aus der Denkfabrik. 64 Prozent
ihrer zu Beginn seiner Amtszeit wie eine Blaupause für ein
Regierungsprogramm geschriebenen Vorgaben, sagt die Stiftung selbst
voller Stolz, habe Trump schon im ersten Jahr umgesetzt. Der Ausstieg
aus dem Pariser Klimaabkommen gehört ebenso dazu wie der Rückzug von
der UN-Organisation Unesco und die Freigabe von Naturschutzgebieten
für Rohstoffbohrungen.

Auch beim Brexit folgt Trump dem Hirn des amerikanischen
Konservatismus - in diesem Fall besonders Nile Gardiner, dem Chef des
Margaret Thatcher Centers for Freedom bei der Stiftung. Dessen Credo:
«Es ist besser außerhalb der Zwangsjacke zu sein als drinnen.» Die EU

reguliere viel zu viel. Die Londoner City werde nach dem Brexit
boomen, zu einem Magneten für ausländische Investoren werden.

Schon jetzt umfasse die Beziehung zwischen den USA und Großbritannien
das größte bilaterale Handelsvolumen für Dienstleistungen auf der
Welt. Das soll noch größer werden. Dass dann ausgerechnet jener
Finanzzentrale die Zügel abgenommen würden, deren Auswüchse vor zehn

Jahren maßgeblich zur weltweiten Finanzkrise beigetragen hatten -
geschenkt.

Es dürfe nur nicht passieren, dass Großbritannien innerhalb der
europäischen Zollunion bleibe. «Wenn Großbritannien außerhalb der
Zollunion ist, dann kann es die EU dramatisch bei den Steuersätzen
unterbieten», sagt Gardiner. Der Gedanke in London sei - zumindest
bei denjenigen, die Großbritannien in die Brexit-Ära führen werden -,

eine Niedrigsteuer-Umgebung zu kreieren mit dem Ziel, noch mehr
Investments anzulocken. Die amerikanischen Investoren, die fünf
Billionen Dollar an Anlagewerten im Königreich liegen haben, würden
jubilieren. Und US-Lieferanten könnten dann ungehindert Autos und
Agrarprodukte gen England schicken.

Die EU will nach Einschätzung Gardiners verhindern, dass die Briten
beim Brexit die Zollunion verlassen. Deswegen schiebe Brüssel das
Nordirland-Problem vor. Ein neuer Premierminister werde das
nachzuverhandeln versuchen. Wenn die EU dazu nicht bereit sei, sei
der No-Deal mit einem Premier, der womöglich Boris Johnson heißt und
dem Weißen Haus praktisch perfekt ins Konzept passt, das
wahrscheinlichste Szenario. Nile Gardiner hat mit seinen Prognosen im
Brexit-Geschehen bisher nicht so weit daneben gelegen. Gut möglich,
dass er bald ein weiteres Häkchen setzt.