Ein Herz für die Rübe - bittere Zeiten für Zuckerproduzenten Von Julia Giertz, dpa
08.07.2019 06:00
Die deutsche Zuckerwirtschaft steht mit dem Rücken zur Wand.
Industrie und Zuckerrübenbauern sehen sich mit vielen Problemen
konfrontiert. Besonders auf die EU sind sie nicht gut zu sprechen.
Ditzingen/Mannheim (dpa) - Die Zuckerrüben auf dem Feld von Bauer
Fritz Riesch sehen auf den ersten Blick prächtig aus: In sattem Grün
zeigt sich der Acker nach dem vielen Regen des Frühsommers im
baden-württembergischen Ditzingen. Doch der Schein trügt. Wenn Riesch
das Blatt einer Pflanze umdreht, sieht er Beunruhigendes: dunkle
Pünktchen. Es sind zig schwarze Bohnenläuse, die sich am Pflanzensaft
laben. Auf das Konto von Schädlingen wird nach Einschätzung von
Julian Müller vom Landesverband der Zuckerrübenanbauer bei der
diesjährigen Ernte ein Schwund von zehn Prozent gehen. Doch das ist
nur eine von vielen Schwierigkeiten der deutschen Rübenanbauer.
Für einige davon machen die Landwirte die EU verantwortlich. So hat
sie das Präparieren des Saatgutes mit einigen Neonikotinoiden
verboten. Diese sogenannten Neoniks sind Insektizide und gelten als
schädlich für Bienen. Aber ohne die Vorbehandlung befallen laut
Riesch Schädlinge die Felder. Er glaubt, nun nachträglich auf seinen
zwölf Hektar Rüben großflächig Insektizide einsetzen zu müssen, w
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die Läuse überhand nehmen. «Eine Verschlimmbesserung und für mich
deutlich mehr Arbeit», findet der Landwirt. Besonders ärgert ihn,
dass mehrere EU-Staaten die Neoniks mit Sondergenehmigungen weiter
zulassen.
Auch der Branchenverband Wirtschaftliche Vereinigung Zucker sieht das
kritisch: Die Landwirte müssten teurere, aber weniger wirksame
Chemikalien spritzen. Und die Bienen, deren Wohlergehen die EU im
Sinn hatte, profitierten von der Vorschrift gar nicht. «Die Rüben
werden schon vor dem Blühen geerntet», erläutert Verbandssprecherin
Sandra Golz.
Riesch und die bundesweit 26 500 anderen Zuckerrübenanbauer, davon
2300 im Südwesten, tragen zur Versorgung Deutschlands mit Zucker bei.
Jährlich isst jeder Deutsche nach Angaben des Branchenverbands im
Schnitt 18 bis 20 Kilo Zucker - der einst als «weißes Gold» galt.
Heute kostet ein Kilo im Supermarkt manchmal nicht einmal 60 Cent. In
der EU liegt der Zuckerpreis mit 314 Euro pro Tonne auf einem
Allzeittief, Mitte 2017 kratzte der Wert noch an der 500-Euro-Marke.
Grund: der Wegfall der EU-Zuckermarkt-Ordnung Ende 2017.
Das bis dahin geltende System von nationalen Zuckerquoten und
Rübenmindestpreisen diente der Selbstversorgung der Europäer mit
Zucker - und sicherte Riesch und seinen Kollegen ein gutes Auskommen.
Bei 25 Prozent der Anbaufläche habe die Rübe 50 Prozent des Umsatzes
im Ackerbau eingebracht, erzählt Riesch. Kritiker sahen die Quote
hingegen als Einschränkung des Wettbewerbs, manch einer sprach sogar
von einem «planwirtschaftlichen» System.
Riesch hält dagegen die Liberalisierung des Marktes für unfair. Denn
einige EU-Staaten - etwa Rumänien - zahlten Rübenbauern sogenannte
gekoppelten Zahlungen, also Zuschüsse. «Wir fordern die Politik auf,
die Wettbewerbsnachteile durch gleiche Bedingungen aufzuheben, das
gilt für den Umgang mit Neonikotinoiden wie für die Subventionen»,
sagt Verbandssprecherin Golz.
Als neuer Konkurrent tritt der südamerikanische Staatenbund Mercosur
auf: Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Die EU und
Mercosur wollen gemeinsam die größte Freihandelszone der Welt
aufbauen und hatten die Verhandlungen dazu unlängst abgeschlossen.
Wegen des großen Produktionsvolumens in der Freihandelszone können
Kostenvorteile etwa bei Rindfleisch, Geflügel und Zucker letztlich
dem Verbraucher zugute kommen. Auch die deutsche Wirtschaft
verspricht sich davon eine Menge.
Der weltweit größte Produzent Südzucker aus Mannheim hingegen
befürchtet Nachteile: «Wir gehen davon aus, dass größere Mengen aus
dieser Region - im Volumen einer deutschen Zuckerfabrik - auf den
Markt kommen und die heimische Produktion verdrängen», sagt Sprecher
Dominik Risser.
Die aus Branchensicht schwierige Gemengelage schlägt sich auch in den
Büchern der Abnehmer wie Südzucker nieder, den auch Riesch beliefert.
Der Konzern rechnet für 2019/20 mit einem Umsatz von 6,7 bis 7
Milliarden Euro und mit einem Konzernergebnis von 0 bis 100 Millionen
Euro, wobei sie im Segment Zucker 200 bis 300 Millionen Verlust
erwarten. Das Unternehmen schließt nun fünf Fabriken in Polen,
Frankreich und Deutschland, um 700 000 Tonnen Produktionskapazitäten
Zucker aus dem europäischen Markt zu nehmen. «Da entstehen Härten,
aber was will man sonst machen», sagt Riesch mit Blick auf betroffene
Kollegen. Er selbst ist froh, dass er seine diesjährige Ernte an eine
von sieben verbleibenden Südzucker-Fabriken in Offenau nördlich von
Heilbronn verkaufen kann.
Bauer Riesch hat Glück, sein Hauptstandbein ist die Milchviehhaltung.
Andere Kollegen seien stärker von der Rübe abhängig. Schon in den
letzten drei Jahren haben sich bundesweit 2000 Landwirte von der Rübe
verabschiedet. Riesch, Rübenbauer in dritter Generation, will seiner
Feldfrucht noch möglichst lange treu bleiben. «Ich werde einer der
Letzten sein, der aussteigt - mein Herz gehört der Rübe.»