Neuer UN-Appell an die EU: Rettet die Menschen auf dem Mittelmeer Von Christiane Oelrich, dpa

12.07.2019 17:26

Die jüngsten Dramen auf dem Mittelmeer bewegen die Vereinten Nationen
zu einem neuen Appell an die EU-Staaten. Können Migranten auf dem Weg
nach Europa auf mehr Hilfe hoffen? Österreichs Ex-Kanzler Sebastian
Kurz hat eine klare Meinung.

Genf (dpa) - Die Vereinten Nationen fordern von den EU-Staaten neue
staatliche Rettungsmissionen für Migranten im Mittelmeer. «In der
Vergangenheit haben staatliche europäische Schiffe bei Such- und
Rettungsaktionen Tausende Leben gerettet, auch, indem sie die
Menschen sicher ans Land brachten», sagten die Chefs des
UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und der Organisation für Migration
(IOM), Filippo Grandi und Antonio Vitorino, in Genf. «Sie sollten
diese wichtige Arbeit wieder aufnehmen.»

Die Chefs der humanitären Organisationen sind frustriert über den
seit Monaten dauernden Streit in der EU über die Verteilung der
Flüchtlinge. Sie prangern die von der EU unterstützte italienische
Politik an, der Küstenwache Libyens zu helfen. Die Libyer fangen mit
dieser Hilfe Migranten auf dem Mittelmeer ab und bringen sie zurück
in das Bürgerkriegsland. Libyen sei kein sicherer Hafen für die
Flüchtlinge, betonten Grandi und Vitorino erneut.

Seit Anfang des Jahres sind nach Angaben der IOM im Mittelmeer
mindestens 682 Migranten ums Leben gekommen, 426 auf der Route von
Libyen nach Europa. Ein Boot aus Libyen mit mehr als 80 Migranten war
vergangene Woche vor tunesischen Küste gesunken. Die Zahl der
Todesopfer stieg auf 72, wie der tunesischen Rote Halbmond am Freitag
berichtete. Die Küstenwache habe Dutzende Leichen geborgen und zwei
Leichen seien an der Küste angespült worden.

Die EU-Kommission in Brüssel reagierte am Freitag zurückhaltend. Eine
Sprecherin erinnerte daran, dass wegen des Streits um die Verteilung
von Migranten jüngst sogar die zur Bekämpfung von Schleusernetzwerken
gestartete Operation «Sophia» drastisch zurückgefahren werden musste.

Statt mit Schiffen, die im Notfall auch Menschen retten können,
werden die Aktivitäten der Netzwerke im Bürgerkriegsland Libyen
derzeit nur noch aus der Luft überwacht.

Dagegen sagte der SPD-Innenpolitiker Helge Lindh der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin, die Forderung nach neuen Rettungseinsätzen
sei berechtigt. Eine neue Mission könne aber erst starten, «wenn
geklärt sei, welchen Hafen die Rettungsschiffe anlaufen können und
welche Staaten die Geretteten hinterher aufnehmen».
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will über die Verteilung
geretteter Migranten bei einem EU-Treffen am kommenden Donnerstag in
Helsinki verhandeln. Über die Lage im Allgemeinen wollen am Montag
die EU-Außenminister in Brüssel beraten.

Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz will an der Rückführung von
Migranten nach Libyen festhalten und die Einreise der Menschen nach
Europa verhindern. «Ich bleibe bei meiner Linie: Die Rettung aus der
Seenot darf nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein»,
sagte er der dpa in einer Stellungnahme. Die Migranten sollten in
ihre Herkunfts- oder sichere Transitländer gebracht werden. «Damit
würden wir auch das Geschäftsmodell der Schlepper zerstören, viel
weniger würden sich folglich auf den Weg nach Libyen machen und wir
würden das Ertrinken im Mittelmeer beenden.»

In ihrer Erklärung vom Donnerstagabend verlangen die Chefs der
humanitären UN-Organisationen auch, dass Hilfsorganisationen nicht
wegen der Rettung von Menschen bestraft werden. Handelsschiffe
dürften nicht angewiesen werden, gerettete Menschen nach Libyen
zurückzubringen.

Damit kritisieren sie direkt die italienische Politik, ohne das Land
beim Namen zu nennen. Italiens Innenminister Matteo Salvini will
unter keinen Umständen mehr Migranten ins Land lassen. Er verhöhnt
Menschenretter wie die deutsche Kapitänin Carola Rackete in sozialen
Medien und hat gerade neue Mittel für die Unterstützung der libyschen
Küstenwache angekündigt. Ihm schwebt vor, ihr in diesem Sommer noch
zehn Schiffe aus Italien zu übergeben. «Die libysche Küstenwache
macht gute Arbeit», sagte Salvini unlängst.

Für die UN gehören aber auch die anderen EU-Länder auf die
Anklagebank, denn auch durch die Europäische Union wird die libysche
Küstenwache unterstützt. Sie bildet unter anderem Beamte für
Rettungseinsätze aus.

Migranten werden in Libyen ohne gültige Papiere in Internierungslager
mit katastrophalen Zuständen gesteckt. Dort mangelt es an Toiletten,
Duschen, Essen, Trinken und die Menschen werden nach Berichten von UN
und Hilfsorganisationen teilweise misshandelt. Andere Migranten
geraten in Libyen in die Hände von Menschenschmugglern, die sie vor
laufenden Kameras foltern, um mit den Videos Geld von
Familienangehörigen zu erpressen.

Vergangene Woche wurde ein solches Lager, Tadschura östlich der
Hauptstadt Tripolis, von einer Rakete getroffen. Mehr als 50
Migranten kamen ums Leben. Es liegt in einem Gebiet, das seit Beginn
der Offensive von General Chalifa Haftar, der die Regierung in der
Hauptstadt stürzen will, heftig umkämpft ist.