Milliardendeal von Alstom und Bombardier mit vielen Unbekannten Von Christof Rührmair und André Stahl, dpa
18.02.2020 15:26
Mit den Franzosen und Kanadiern nehmen erneut zwei führende
Bahntechnik-Konzerne Anlauf für ein Zusammengehen. Doch die
kartellrechtlichen Hürden für das Geschäft sind hoch, Gewerkschaften
sorgen sich um Standorte und Jobs in Deutschland.
Berlin/München (dpa) - Der unter hohen Schulden ächzende kanadische
Bombardier-Konzern will seine Zugsparte verkaufen - an den
Konkurrenten Alstom. Der französische TGV-Hersteller zeigt sich
zuversichtlich, dass die EU-Wettbewerbshüter diesmal mitspielen -
anders als bei der gescheiterten Fusion mit der Siemens-Bahnsparte.
In den deutschen Werken von Alstom und Bombardier herrscht Unruhe.
Warum will Alstom die Sparte Bombardier Transportation übernehmen?
Große Bahnhersteller in Europa bemühen sich schon länger um ein
Zusammengehen, um dem global erstarkenden chinesischen Rivalen CRRC
Paroli bieten zu können. Es sollte ein europäischer Champion
entstehen. Eine Fusion von Alstom mit der Siemens-Sparte Mobility
stoppte jedoch die EU-Kommission vor einem Jahr wegen
Wettbewerbsbedenken. Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le
Maire argumentiert auch jetzt, europäische «Champions» seien wichtig,
die auch gegen chinesische und amerikanische Konkurrenz bestehen
könnten.
Wie groß ist denn die Bedrohung durch CRRC?
Die Chinesen sind bisher in Europa noch nicht so präsent wie anderswo
auf der Welt. Der Druck auf die Europäer steigt aber. Nach Zahlen von
2018 war CRRC mit einem Umsatz von etwa 30 Milliarden Euro fast
doppelt so groß wie Siemens und Alstom zusammen. Der Druck auf
europäische Schienenverkehrsanbieter wird sich erhöhen, sollte etwa
der Kauf des Lokomotivengeschäfts von Vossloh durch CRRC durchgehen.
Wie sieht der geplante Deal von Alstom denn aus?
Alstom will die komplette Bahnsparte des stark angeschlagenen
Bombardier-Konzerns übernehmen. Der Kaufpreis soll sich auf 5,8
Milliarden bis 6,2 Milliarden Euro bewegen. Den Vollzug erwartet
Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge für das Frühjahr 2021. Die Zahlung
des Kaufpreises soll über Bargeld und neue Alstom-Aktien erfolgen.
Der kanadische Pensionsfonds «Caisse des Dépôts et des Placements du
Québec» (CDPQ), der dem überschuldeten Bombardier-Konzern vor Jahren
mit einer Finanzspritze geholfen hatte, soll seine Beteiligung von
32,5 Prozent an Bombardier Transportation gegen 18 Prozent an Alstom
eintauschen und so größter Aktionär der Franzosen werden.
Warum ist die geplante Transaktion auch für Deutschland so wichtig?
Alstom und Bombardier sind in Deutschland mit mehreren Werken sowie
mehr als 9000 Beschäftigten vertreten. Alstom betreibt in Salzgitter
sein größtes Werk überhaupt. Die bundeseigene Deutsche Bahn ist ein
Großkunde. Zur verkehrspolitischen Bedeutung gehört auch, dass
mehrere Bahn-Anbieter auf Bombardierzüge warten. Das Unternehmen
offenbarte zuletzt auch immer wieder Qualitätsmängel bei seinen
Zügen, etwa den neuen Dopelstock-Intercitys. Die IG Metall ist um
Jobs und Werke bei beiden Herstellern besorgt.
Wie sind diesmal die kartellrechtlichen Hürden zu beurteilen?
Es ist stark davon auszugehen, dass die Franzosen vorgefühlt haben in
Brüssel. Auch für Analysten von J.P. Morgan dürfte Alstom aus den
Erfahrungen mit dem gescheiterten Fusionsversuch gelernt haben. Die
Hürden sind dennoch hoch. Vor allem für Regionalverkehrszüge sehen
Experten Überschneidungen. Alstom hatte darauf verwiesen, dass sich
der Deal von der früher geplanten Siemens-Fusion unterscheide.
Was könnten diese Unterschiede sein?
Als ein wesentlicher Punkt gilt die Krise beim verschuldeten
Bombardier-Konzern. Der Druck zu verkaufen, Geschäft abzugeben und
den Deal durchzuziehen, ist hoch, um Geld für den Schuldenabbau
einzusammeln. Auflagen könnten also erfüllt werden. Aus Sicht der
Franzosen gibt es eher Chancen für eine Genehmigung, weil es sich um
eine Übernahme und nicht um eine Fusion von Unternehmen auf Augenhöhe
handele. Es gebe mehr Freiheiten, den Verkauf von Sparten anzubieten,
um Bedenken auszuräumen, mutmaßen auch Gewerkschaftsvertreter.
Welche kartellrechtlichen Probleme könnte es geben?
Maria Leenen vom Beratungsunternehmen SCI Verkehr sagt, die derzeit
starke Nachfrage nach Bahntechnik werde auf ein geringeres Angebot
stoßen. Vor allem für kleinere Bahnunternehmen könnte es schwieriger
werden. Alstom und Bombardier würden vor allem den Markt für Diesel-
und Hybridfahrzeuge in Europa beherrschen. Auch in dem für den
Regionalverkehr wichtigen Segment Elektrotriebwagen kämen beide in
Europa auf einen Marktanteil von 47 Prozent. Siemens und Stadler
brächten es zusammen auf 39 Prozent. Danach kämen nur wenige andere.
Was befürchten Gewerkschaftsvertreter?
Der Betriebsratschef im Alstom-Werk Salzgitter, Thomas Ueckert, sieht
Überschneidungen bei Regionalzügen, U- und Straßenbahnen. Befürchte
t
werden Verlagerungen an Billigstandorte. Von der deutschen Politik
fordert die IG Metall, sich «einzuklinken»: «Sonst stehe wir vor
einem Scherbenhaufen.» Auch Leenen verweist darauf, es gebe weit
größere Überschneidungen bei Produkten als bei der ursprünglich
geplanten Fusion Siemens/Alstom. Momentan würden Überkapazitäten
durch eine «große Beschaffungswelle» überdeckt: «Derzeit wird jed
es
Werk gebraucht. Aber was kommt nach der Sonderkonjunktur?»
Und wie geht es mit Siemens weiter?
Siemens Mobility hatte 2019 einen Umsatz von 8,9 Milliarden Euro
erzielt und rangiert damit weltweit weiter auf Platz zwei. Die
Übernahmepläne kommentiert Siemens nicht. Aus Industriekreisen hieß
es aber, Siemens sei alleine groß genug, um im Mobility-Markt zu
bestehen. Bombardier habe ja auch mit Siemens gesprochen, aber da
habe es kein Interesse aufseiten der Münchner gegeben. Siemens hätte
sich damit nur die Probleme von Bombardier aufgeladen. Die Frage, ob
Siemens die Nummer zwei oder drei im Markt sei, sei eher egal.