Fortsetzung folgt - Hans-Olaf Henkel wird 80 Von Burkhard Fraune, dpa
13.03.2020 05:15
Er war die Stimme der deutschen Industrie, dann ging er in die
Politik und half ungewollt, «ein Monster» zu erschaffen. Nun sagt er:
Seine Memoiren brauchen eine Fortsetzung.
Berlin (dpa) - Es gibt wohl keinen anderen Industriekapitän, nach dem
ein Schmetterling benannt ist. «Bracca olafhenkeli» lebt in den
Bergen einer indonesischen Insel und ist bislang kaum erforscht.
Anders sein Namensgeber: Hans-Olaf Henkel ist seit Jahrzehnten eine
öffentliche Person. Er war Präsident des Bundesverbands der deutschen
Industrie (BDI), engagiert bei Amnesty und AfD, schrieb Bücher und
bissige Kommentare, machte sogar eine Jazz-Sendung im Radio. Mit 60
veröffentlichte er seine Lebenserinnerungen.
Nun, vor seinem 80. Geburtstag (14. März) sagt Henkel, er werde wohl
einen zweiten Teil schreiben. «Ich habe das Gefühl, dass ich in den
letzten 20 Jahren mehr erlebt habe als in den Jahren zuvor.» In dem
Buch wird auch von Ärger und Enttäuschung zu reden sein, wie im
Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur deutlich wird.
Denn die jüngste Zeit ist auch Henkels Zeit als Politiker. Der
Liberale ist ein führender Kopf der Alternative für Deutschland, als
diese aus der Bewegung gegen die Euro-Rettung entsteht. «Wir waren
eine Ein-Themen-Partei von Professoren, nicht eine von solchen
Banausen, wie sie jetzt da am Ruder sind», stellt Henkel klar.
Als die junge Partei nach rechts abdriftet, tritt er aus. «Es macht
mir Kummer, dass ich mitgeholfen habe, ein richtiges Monster zu
erschaffen», bekennt er seinerzeit.
Fünf Jahre sitzt Henkel im Europäischen Parlament, erst mit
AfD-Parteibuch, dann für die neue Partei ihres Gründers Bernd Lucke.
Ernüchtert beobachtet der gelernte Kaufmann: «Man muss wohl als
Politiker das tun, was ankommt und nicht das, worauf es ankommt.»
Der Euro wird wieder in Schieflage geraten, ist Henkel sicher,
befeuert durch die Coronakrise im wirtschaftlich angeschlagenen
Italien. «Hier tut sich eine neue Eurokrise auf», warnt Henkel.
Der Wahl-Berliner hat keine Scheu, klar seine Meinung zu sagen. «Er
hat immer offen gesagt und getan, was er für richtig hielt», sagt
sein Weggefährte Lucke. Er bescheinigt Henkel Verlässlichkeit und
moralische Integrität. Und dass er in den AfD-Flügelkämpfen
konsequent nach der Devise «Viel Feind, viel Ehr!» gehandelt habe.
Zu hören ist auch, dass der gebürtige Hamburger Gesprächspartner mit
seiner kühlen Art und schroffen Kommentaren zuweilen vor den Kopf
stieß. Kantig und scharf, bei Bedarf auch ironisch, trat er als
oberster Lobbyist der deutschen Industrie für die Unternehmen ein.
Als BDI-Präsident von 1995 bis 2000 fordert er Entlastungen für die
Wirtschaft, kritisiert den Flächentarif, den deutschen Föderalismus,
die 35-Stunden-Woche, tritt entschieden ein für offene Märkte.
Deutschland müsse aus einer «Bunkermentalität» heraus.
In SPD und Gewerkschaften sieht man den Marktliberalen auch mal als
Sozialrambo und Tarif-Terminator. Henkel selbst betrachtet sich als
einen Wegbereiter für die Reformpolitik des SPD-Bundeskanzlers
Gerhard Schröder. Das Bundesverdienstkreuz lehnt er ab, weil
Hanseaten traditionell keine «Auszeichnungen fremder Herren»
annähmen.
Fünf Jahre setzt sich Henkel in der Leibniz-Gemeinschaft für die
Interessen von Forschungsinstituten ein, die interessanteste Zeit
seiner Laufbahn, wie er heute sagt. Zum Abschied benennen die
Wissenschaftler einen neu entdeckten Schmetterling nach Henkel, ihrem
Präsidenten, der über den zweiten Bildungsweg kam.
Henkel wuchs als Sohn einer Kaufmannsfamilie ohne Vater auf, der kam
nicht aus dem Krieg zurück. Er wechselt oft die Schule, erst nach
kaufmännischer Lehre beginnt er ein Studium an der hamburgischen
Hochschule für Wirtschaft und Politik. 1962 beginnt er bei IBM
Deutschland, später wird er Europachef des Unternehmens, baut es vom
Hardware- zum Softwarehaus um, lebt jahrelang in Frankreich.
«Ich war überall auf der Welt, aber mit zunehmendem Alter entdecke
ich die Heimat wieder», sagt der vierfache Vater heute. Für seine
Lehrzeit beim Logistikkonzern Kühne + Nagel in Hamburg sei er am
dankbarsten.
Sein Hauptwohnsitz bleibt aber vorerst Berlin («nicht so schön, aber
mehr los»), wo seine zweite Ehefrau Professorin ist. Seit Kurzem
haben sie eine Zweitwohnung an der Elbe in Hamburg. Er besuche nun
viele Freunde und Verwandte, für die er viele Jahre zu wenig Zeit
gehabt habe, sagt Henkel.
In seiner Berliner Wohnung bewahrt Henkel auch ein Exemplar des
Schmetterlings auf, der seinen Namen trägt. «Ich habe noch den Traum,
ihn zu besuchen.» Die Reise ins indonesische Bergland sei aber nicht
ohne. «Bracca olafhenkeli Stüning», so der volle Name, sei außerdem
giftig, bemerkt Henkel noch süffisant. «Ich weiß auch nicht, wie die
Leibniz-Gemeinschaft ausgerechnet auf diesen Falter kam.»