Aus für Trump - das Ende des Populismus? Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa
09.11.2020 11:17
Die AfD streitet, die Lega schwächelt, die FPÖ erlitt ein Wahldebakel
- und jetzt muss auch noch die Galionsfigur der Populisten das Weiße
Haus räumen. Kehrt mit Trumps Abwahl nun wieder Ruhe ein in der
Politik?
Brüssel (dpa) - Donald Trump war Vorbild und Inspiration für die
Rechtspopulisten Europas. Italiens Lega-Chef Matteo Salvini träumte
von einer «internationalen Front» mit Trump, dem Briten Boris Johnson
und anderen. AfD-Chef Jörg Meuthen bejubelte Trump, ebenso die
Französin Marine Le Pen und der Ungar Viktor Orban. Trumps ehemaliger
Berater Steve Bannon umwarb sie alle für eine Bewegung, die das
vermeintliche «Elitenprojekt» EU bei der Europawahl 2019 stürzen
sollte.
Aus der mächtigen Allianz ist nichts geworden. Und die Galionsfigur
Trump erlitt bei der US-Wahl eine Niederlage. Geht nun auch den
europäischen Populisten die Luft aus? Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier pochte am Montag in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»
auf eine Rückkehr der Vernunft und des Vertrauens in die Demokratie.
Der ehemalige EU-Ratschef Donald Tusk twitterte: «Trumps Niederlage
kann der Anfang vom Ende des Triumphs des Rechts-Außen-Populismus
auch in Europa sein.»
Tatsächlich schwächeln Salvini, Meuthen und Co. seit Monaten. Die
italienische Lega ist nicht mehr in der Regierung und sackte in
Umfragen von 40 auf bis zu 23 Prozent ab, in Österreich flog die FPÖ
aus der Koalition mit Kanzler Sebastian Kurz und erlitt in Wien im
Oktober ein Wahldebakel. Die AfD ist beschäftigt mit Grabenkämpfen.
Für einen Abgesang auf die europäische Rechte sei es dennoch zu früh,
meint Christoph Trebesch vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel.
«Die schwächeln auf sehr hohem Niveau», sagt der Wissenschaftler, der
gerade gemeinsam mit Manuel Funke und Moritz Schularick eine Studie
zum historischen Auf und Ab populistischer Regierungen und deren
Wirtschaftspolitik vorgelegt hat. «Es ist kein Phänomen, das schnell
wieder verschwinden wird.»
POPULISTEN LEIDEN UNTER CORONA
Vorerst scheinen Europas populistische Parteien vor allem unter
Corona zu leiden. Bei einer weltweiten YouGov-Umfrage in diesem
Sommer zeigte sich in vielen Ländern ein eindeutiger Rückgang
populistischer Tendenzen. Dazu zählten Deutschland, Großbritannien,
Dänemark, Frankreich und Italien. Die Experten erklären den Trend mit
der Pandemie, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehe.
Die Krise war ja die Stunde der Exekutive - der Staat ordnete an, der
Staat verteilte Milliarden. Die Herrschenden und ihre Institutionen
erlebten mancherorts eine wundersame Renaissance. Bundeskanzlerin
Angela Merkel sah mit der CDU/CSU in Umfragen einen Aufschwung von 26
Prozent im Februar auf 35 Prozent Wähleranteil und mehr.
Zwar wuchs die Kritik an den staatlichen Eingriffen und dem Regieren
per Verordnung. Nur profitierten populistische Parteien in Umfragen
kaum. Ihre Themen Migration, Islamismus, Staatsskepsis standen im
Schatten. Der Ansatz Kleine-Leute-Kümmerer gegen korrupte Machtelite
zog wenig bei einem Virus, das alle treffen kann.
DURCH DIE KRISE IM SCHLINGERKURS
Wo Populisten an der Macht waren, fuhren sie oft im Schlingerkurs
durch die Pandemie. Nicht nur Trump lieferte eine durchwachsene
Bilanz mit hohen Todeszahlen und konfuser Politik, auch sein
britischer Verbündeter Johnson wirkte wie ein Getriebener. «Die
Reaktion der Populisten in Indien, England, USA, Polen oder Ungarn
war nicht besonders überzeugend», sagt IfW-Experte Trebesch.
Trump schnitt bei der Wahl trotzdem überraschend gut ab - aber es hat
eben nicht gereicht. Damit fehlt seinen europäischen Kollegen künftig
ein wichtiger Bündnispartner. Vor allem Johnson trifft das hart. Der
amerikanische Noch-Präsident hat den Brexit stets gefeiert und mit
einem «riesigen Handelsabkommen» zwischen USA und Großbritannien
gelockt - besser als jeder Deal mit der EU. Der EU-freundliche
Demokrat Joe Biden sieht Johnsons Politik weitaus skeptischer.
Trumps Niederlage werde auch die Debatte in den Medien neu ordnen,
erwartet der niederländische Populismusexperte Cas Mudde, der in den
USA lehrt. «Alle werden über «das Ende des Populismus» schreiben, w
as
Themen und Parteien der Rechtsaußen aus den Nachrichten verdrängen
dürfte.»
Die europäische Rechte hat also eine Symbolfigur verloren, einen
politischen Verbündeten im Weißen Haus, ihre Themen werden überlagert
und sie verlieren womöglich die Deutungshoheit. Und trotzdem erwarten
Experten, dass mit Salvini, Le Pen und Co. weiter zu rechnen ist.
Warum?
Zum einen sind ihre Ur-Themen nicht verschwunden. Le Pen etwa
verweist nach den Anschlägen der letzten Wochen in Frankreich wieder
auf radikalen Islamismus und Einwanderung. Im Ton gibt sie sich
zurückhaltender als früher, was ihr zu nützen scheint. Umfragen sehen
die Rechtspopulistin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl
2022 Kopf an Kopf mit Präsident Emmanuel Macron. Salvinis Lega ist
übrigens auch mit 23 bis 25 Prozent noch stärkste Partei in Italiens
Umfragen. Orban sitzt in Ungarn ohnehin fest im Sattel.
«DAS VIRUS IST WIE EIN VULKAN»
Zum anderen könnte die Corona-Wirtschaftskrise den Zorn auf die
traditonellen Parteien neu anfachen. «Das Virus ist wie ein Vulkan»,
warnt der Soziologe Matthijs Rooduijn von der Universität Amsterdam
im «Guardian». «Es hat den Populismus hart getroffen, aber es wird
fruchtbaren Nährboden für die Zukunft hinterlassen.»
Der Kieler Forscher Trebesch sieht das genauso. Sollte die Pandemie
zur sozialen und wirtschaftlichen Krise werden, «könnten die
Populisten wieder Aufwind bekommen»: Dann zünde die Erzählung Volk
gegen Elite wieder und auch der Vorwurf, das Establishment habe
versagt. «Populismus braucht einen Nährboden. Und der ist immer noch
da», sagt Trebesch. Populisten böten ein Freund-Feind-Schema, ein
Zugehörigkeitsgefühl, Emotionen - nicht nur politische Inhalte.
Wirtschaftspolitisch waren die 50 in seiner Studie untersuchten
populistischen Präsidenten und Ministerpräsidenten seit 1900
erstaunlich erfolglos - die Wirtschaftskraft pro Kopf lag nach 15
Jahren um mehr als 10 Prozent niedriger als in Vergleichsszenarien.
Und doch zeigte sich, dass Länder, die einmal populistische Politiker
an die Macht gebracht haben, dies durchaus wieder tun. Siehe zum
Beispiel Italien, wo nach Silvio Berlusconi auch Salvini groß wurde.
Diese «serielle Natur des Populismus» sieht Trebesch als das
überraschendste Ergebnis der Studie. «Insgesamt sind Populisten
Überlebenskünstler.»