EU-Haushaltsblockade: Deutschland handelt Kompromiss aus Von Ansgar Haase und Doris Heimann, dpa

09.12.2020 19:05

Ungarn und Polen sind bereit, ihre Blockade des EU-Haushalts
aufzugeben. Jetzt geht der Blick in Länder wie die Niederlande. Sind
sie bereit, den von Deutschland ausgehandelten Kompromiss
mitzutragen?

Brüssel/Warschau (dpa) - Im Streit um die Blockade des EU-Haushalts
und der milliardenschweren Corona-Hilfen hat Deutschland mit Ungarn
und Polen einen Kompromiss ausgehandelt. Demnach soll es eine
Zusatzerklärung zu den Vereinbarungen über einen
Rechtsstaatsmechanismus geben, gegen den sich Budapest und Warschau
bislang sperren. Der Entwurf liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
Darin soll unter anderem festgehalten werden, welche Möglichkeiten
Ungarn und Polen haben, sich gegen die Anwendung des Verfahrens zur
Ahndung von Rechtsstaatsverstößen zu wehren.

Beide Länder befürchten, dass der Mechanismus darauf abzielt, ihnen
wegen umstrittener politischer Projekte EU-Mittel kürzen zu können.
Mit Spannung wird nun erwartet, ob die anderen 24 EU-Staaten dem von
der derzeitigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft ausgehandelten
Kompromiss zustimmen. Er würde nicht nur die Blockade des nächsten
EU-Haushalts aufheben, sondern auch den Weg für die geplanten
Corona-Krisenhilfen von bis zu 750 Milliarden ebnen.

Eine endgültige Einigung könnte es nach Angaben von Diplomaten beim
Gipfel der Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag und
Freitag in Brüssel geben. Bei dem Treffen soll es eigentlich vor
allem um neue Klimaschutzziele und mögliche weitere Sanktionen gegen
die Türkei gehen.

In dem Entwurf wird auch klargestellt, dass Ungarn und Polen den
neuen Rechtsstaatsmechanismus vom Europäischen Gerichtshof überprüfen

lassen können. Im Fall einer Klage soll er bis zu einem Urteil nicht
angewendet werden dürfen. Zudem sollen die Mitgliedstaaten ein
Mitspracherecht bekommen, wenn die EU-Kommission demnächst die
Richtlinien zur Umsetzung ausarbeitet.

Relevant dürfte auch sein, dass noch einmal festgeschrieben wird,
dass die Feststellung eines Rechtsstaatsverstoßes allein nicht
ausreicht, um EU-Finanzhilfen zu kürzen. Demnach muss klar
festgestellt werden, dass der Verstoß negative Auswirkungen auf die
Verwendung von Geld hat. Zudem soll noch einmal festgehalten werden,
dass sich in strittigen Fragen auch der Rat der Staats- und
Regierungschefs mit dem Thema beschäftigen muss.

Die Grundsatzeinigung war am Vormittag unter anderem von Polens
Vizeregierungschef Jaroslaw Gowin bestätigt worden. Bereits am
Dienstagabend hatte Ungarns Regierungschef Viktor Orban nach
Gesprächen in Warschau gesagt, man sei nur noch «einen Zentimeter»
von einer Lösung entfernt. Am späten Nachmittag führten dann die
Botschafter der EU-Staaten in Brüssel eine erste Diskussion. Ein
EU-Diplomat sprach anschließend von einer positiven Aussprache. Jetzt
beginne die vertiefte Analyse in den Hauptstädten.

Vor allem Länder wie die Niederlande und Luxemburg hatten zuletzt
gewarnt, dass eine Einigung nicht zur Verwässerung des geplanten
neuen Verfahrens zur Ahndung von Rechtsstaatsverstößen führen dürfe
.
Ungarn und Polen wollen genau dies erreichen. Sollte auch nur ein
einziger EU-Staat die Einigung ablehnen, steht der EU vermutlich von
Januar an nur eine Art Nothaushalt zur Verfügung. Zahlreiche
Programme könnten nicht starten. Zudem müsste ein Weg gefunden
werden, um das Corona-Konjunkturprogramm anders zu organisieren.

Auf die Corona-Hilfen sind vor allem EU-Länder angewiesen, die
wirtschaftlich stark unter der Corona-Krise leiden und gleichzeitig
ein Schuldenproblem haben - zum Beispiel Frankreich, Italien,
Spanien, Portugal und Belgien.

Auf den neuen Rechtsstaatsmechanismus hatten sich die EU-Staaten Ende
Oktober gegen den Willen von Ungarn und Polen verständigt. Polens
nationalkonservative Regierungspartei PiS baut seit Jahren die Justiz
um. In Ungarn werden vor allem Einschränkungen der Medienfreiheit und
ein unzureichender Schutz von Minderheiten bemängelt.