Corona-Impfpatente freigeben? Bundesregierung ist skeptisch

07.05.2021 17:53

Wie beschafft man genügend Corona-Impfstoff für die ganze Welt? Der
Vorschlag der USA, die Patente für Corona-Impfstoffe auszusetzen,
setzt Europa unter Druck. In Deutschland gibt es Einwände.

Berlin/Porto (dpa) - Die Bundesregierung sieht eine Freigabe von
Impfstoffpatenten im weltweiten Kampf gegen die Corona-Krise
skeptisch. Dies bekräftigte Sprecherin Ulrike Demmer am Freitag.
Andere EU-Länder wie Polen, Italien, Frankreich oder Spanien zeigen
sich offener für den Vorstoß von US-Präsident Joe Biden. Die 27
Staaten wollten am Freitagabend am Rande des EU-Sozialgipfels in
Porto eine gemeinsame Linie suchen.

Biden und seine Regierung hatten sich überraschend hinter Forderungen
ärmerer Länder gestellt und für eine vorübergehende Aufhebung des
Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe plädiert. Dann könnten
Hersteller in aller Welt die Impfstoffe produzieren, ohne
Lizenzgebühren an die Entwicklerfirmen wie Biontech/Pfizer und
Moderna zahlen zu müssen. Hintergrund ist der akute Impfstoffmangel
in vielen Ländern der Welt.

Allerdings bräuchte es für eine Freigabe erst eine Einigung in der
Welthandelsorganisation WTO. Die EU-Staaten müssten der Kommission
dafür ein Verhandlungsmandat erteilen. Aus EU-Kreisen hieß es,
langwierige internationale Verhandlungen brächten wohl nicht die
schnelle Lösung, die jetzt nötig sei.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte in Berlin: «Das
Hauptthema ist nicht die Frage von Patenten.» Dies sei die Frage von
Produktionskapazitäten. «Gerade mRNA-Impfstoffe zu produzieren, ist
nichts, was man mal eben per Lizenz dann irgendwo in irgendeiner
Fabrik irgendwie machen kann.» Es gehe um Technologietransfer, der
besser in Kooperation laufe.

Mit Blick auf das eigentliche Problem der Verfügbarkeit sagte Spahn,
er freue sich, wenn die USA ihre bisherige Politik veränderten und
wie die EU bei sich produzierte Dosen auch für den Export freigeben.
Spahn mahnte zudem an, die Rechte der Forscher im Blick zu behalten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich zwar offen
für eine Debatte über den US-Vorstoß gezeigt. Ihre Sprecherin Dana
Spinant betonte aber am Freitag, dass auch die Kommission vor allem
im Aufbau von Produktionskapazitäten die Lösung für die
Impfstoffknappheit sieht. Daran arbeite man gemeinsam mit der
Industrie, sagte Spinant.

Hemmnisse bei der Impfstoffversorgung sind nach Darstellung von
EU-Beamtinnen unter anderem der Nachschub an Rohstoffen und
Hilfsmitteln wie Filter oder Glasfläschchen. Bisher habe man sich
darauf konzentriert, dies zu lösen. Es gebe hingegen keinen Beleg,
dass Patente die Produktion beschränkten.

Die Patentfrage soll bei einem Abendessen der Staats- und
Regierungschefs beim informellen EU-Gipfel in Porto am Freitag
besprochen werden. Vor seiner Abreise nach Portugal unterstützte
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Patentfreigabe. «Das
ist nötig, um die Epidemie auf der ganzen Welt zu eliminieren.» Auch
der italienische Außenminister Luigi di Maio äußerte sich zustimmend.


Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte in Porto, die EU
kämpfe seit einem Jahr dafür, dass Impfstoff weltweit ein
öffentliches Gut werde. Dabei gehe es nicht wirklich um geistiges
Eigentum. Die Anzahl gespendeter Dosen sei der Schlüssel. Außerdem
sei entscheidend, dass Impfstoffe und ihre Bestandteile nicht
blockiert würden. Darüber hinaus sei Technologietransfer wichtig, so
dass die Mittel in Entwicklungsländer hergestellt oder abgefüllt
werden könnten. Für diese Debatte sei er offen. Macron betonte,
Innovation müsse entlohnt werden. Frankreich arbeite Hand in Hand mit
Deutschland und der EU-Kommission.

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez brachte ein
Positionspapier zum Gipfel nach Porto. Demnach sollen drei Punkte
gleichzeitig angegangen werden: die vorübergehende Aussetzung
bestimmten Pflichten unter den Regeln für Rechte geistigen Eigentums
im Handel und die Förderung einer freiwilligen Lizenzabgabe; der
Ausbau der Produktionsstätten; und die Beschleunigung der Verteilung.
Nach seinen Zahlen werden mindestens elf Milliarden Impfdosen
gebraucht, um 70 Prozent der Weltbevölkerung zu immunisieren. Die
derzeitige Produktionskapazität liege bei 6,5 bis 8,5 Milliarden
Dosen pro Jahr. Nach pessimistischen Prognosen werde der Impfstoff
erst 2023 oder 2024 ausreichen.