Gegner der EZB-Staatsanleihenkäufe scheitern in Karlsruhe

18.05.2021 10:53

Das Urteil des obersten deutschen Gerichts vor gut einem Jahr zu
Anleihenkäufen der EZB war ein Paukenschlag: Zum ersten Mal stellten
sich die Karlsruher Richter gegen das höchste EU-Gericht. Die
Bundespolitik bekam Aufgaben auferlegt. Das hatte ein Nachspiel.

Karlsruhe (dpa) - Bundesregierung und Bundestag haben nach einem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausreichend die umstrittenen
Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) überprüft. Z
u
diesem Fazit kommen die Karlsruher Richterinnen und Richter in einem
am Dienstag veröffentlichten Beschluss vom 29. April. Zwei Anträge
auf Erlass einer sogenannten Vollstreckungsanordnung, mit der das
oberste deutsche Gericht die Umsetzung hätte bestimmen können,
verwarf der Zweite Senat als unbegründet. (Az.: 2 BvR 1651/15 u.a.)

Das Verfassungsgericht hatte vor gut einem Jahr Anleihenkäufe der EZB
beanstandet und sich damit zum ersten Mal über eine Vorabentscheidung
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinweggesetzt. Der Zweite Senat
hatte mehreren Klagen gegen das 2015 gestartete Kaufprogramm PSPP zur
Ankurbelung von Inflation und Konjunktur überwiegend stattgegeben.
Die Notenbank überspanne damit ihr Mandat für die Geldpolitik.

Die Bundesbank darf nur mitmachen, wenn der EZB-Rat nachvollziehbar
darlegt, dass die mit dem milliardenschweren Kaufprogramm
angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den

damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen
stehen. Die Bundesregierung bekam drei Monate Zeit, die EZB zu einer
Überprüfung des beanstandeten Kaufprogramms zu bewegen.

Doch es gab unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Politiker die
Vorgaben ordnungsgemäß umgesetzt haben. Während Bundesregierung und
Bundestag davon überzeugt waren, sahen der ehemalige CSU-Politiker
Peter Gauweiler und eine Klägergruppe um den früheren AfD-Chef Bernd
Lucke das anders und erzwangen eine Überprüfung durch das Gericht.

Dieses listete nun auf, was seit dem Urteil alles geschehen sei: So
hätten sich beispielsweise verschiedene Bundestagsausschüsse schnell
mit dem Thema befasst. Im Plenum habe es eine Aktuelle Stunde gegeben
und die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hätten eine
Ausarbeitung zur Unionsrechtskonformität des PSPP erstellt.

Der EZB-Rat habe dann auf einer geldpolitischen Sitzung Anfang Juni
unter anderem zwei Beschlüsse gefasst, die die Verhältnismäßigkeit

des PSPP zum Gegenstand haben. Ende Juni habe die Deutsche Bundesbank
dem Bundesfinanzministerium verschiedene - teils als vertraulich
eingestufte - Dokumente der EZB übersandt, die Abgeordnete in der
Geheimschutzstelle des Bundestages einsehen konnten. Am 2. Juli habe
dann der Bundestag nach einer öffentlichen Debatte in einem Beschluss
festgestellt, dass die vom EZB-Rat durchgeführte
Verhältnismäßigkeitsprüfung den Anforderungen aus dem Urteil genü
ge.

«Im Ergebnis sind Bundesregierung und Bundestag damit weder untätig
geblieben», bilanzierte der Senat. Noch hätten sie offensichtlich
ungeeignete oder völlig unzureichende Maßnahmen getroffen, um ihrer
Verpflichtung nach dem Urteil nachzukommen. «Es ist nicht
ersichtlich, dass sie dabei ihren Einschätzungs-, Wertungs- und
Gestaltungsspielraum überschritten haben.» Außerdem seien die
Vollstreckungsanträge unzulässig, weil sie über die beurteilte Sach-

und Rechtslage hinausgingen, hieß es in der Mitteilung weiter.

Weil sich Karlsruhe mit seinem Urteil vom 5. Mai 2020 offen gegen den
EuGH gestellt hatte, prüft die EU-Kommission noch, ob sie ein
sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet.
Der EuGH hatte dem Kaufprogramm im Dezember 2018 gegen massive
Bedenken aus Karlsruhe seinen Segen erteilt. Diese Vorabentscheidung
aus Luxemburg sei «schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar», hieß

es in der Entscheidung der deutschen Verfassungsrichter.