EU-Klimaschutz: Das große Feilschen beginnt Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

25.05.2021 18:05

Wer muss wie viel tun für den Klimaschutz? Für die EU-Staaten ist das
traditionell eine heikle Debatte. Der Brüsseler Gipfel bringt erst
einmal wenig Klarheit.

Brüssel (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel kam mit einem Angebot
im Gepäck. Auf dem Weg zum neuen EU-Klimaziel für 2030 ist die
Bundesrepublik bereit, weitere Lasten zu schultern. «Deutschland ist
in Vorleistung getreten, wir haben unsere nationalen Ziele verschärft
und wollen Klimaneutralität bereits bis 2045 erreichen», sagte Merkel
beim EU-Gipfel und sprach von einem Beitrag zu einer europäischen
Lösung. Streit gibt es trotzdem unter den 27 Staaten, und er dürfte
so bald auch nicht enden. Es geht um viel Geld, auch für Verbraucher.

Die Staats- und Regierungschefs hatten im Dezember vereinbart, den
Ausstoß von Klimagasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den
Wert von 1990 zu bringen - statt bisher geplanten 40 Prozent. Schon
das gelang nur nach einem sehr hartnäckigen Streit mit dem Kohleland
Polen. Nun steht die Umsetzung an. Die EU-Kommission will dazu am 14.
Juli ihr Paket «Fit für 55» mit zwölf Maßnahmen vom Ausbau
erneuerbarer Energien bis zum Energiesparen vorlegen. Vorher wollten
die EU-Staaten beim Gipfel Pflöcke einrammen. Nur gehen ihre
Interessen weit auseinander.

Deutschland immerhin liegt nach der vom Verfassungsgericht
angemahnten Verschärfung der Klimaziele nun fast genau auf dem
künftigen EU-Kurs. «Das neue deutsche Klimaziel von minus 65 Prozent
Treibhausgase bis 2030 passt ziemlich gut zu dem neuen EU-Ziel von
mindestens minus 55 Prozent im Vergleich zu 1990», bestätigt
Klimaexperte Jakob Graichen vom Ökoinstitut in Berlin. Trotzdem
schließt er nicht aus, dass Berlin wegen EU-Vorgaben nachbessern
muss. Das hängt davon ab, an wie vielen Schräubchen gedreht wird.

Traditionell fährt die EU beim Klimaschutz zweigleisig. Der
europäische Emissionshandel ETS soll die Klimagase aus
Energieerzeugung, Industrie und Luftfahrt drücken; bei den übrigen
großen Verursachern wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Müll
setzt man auf Lastenteilung - im Englischen etwas freundlicher
«Effort Sharing» genannt. Das bedeutet, die nötige Reduzierung der
Klimagase in diesen Sektoren wird mit nationalen Zielen unter den 27
Staaten aufgeteilt. Wegen des neuen 55-Prozent-Ziels muss jetzt in
beiden Strängen nachgelegt werden.

Konsens ist nicht in Sicht. Im vorbereiteten Entwurf der
Gipfelerklärung standen ohnehin nur allgemeine Eckpunkte: Man wolle
weiter nationale Ziele, die Lastenteilung solle wie bisher «breit
angelegt» sein, und zur Verteilung sollten dieselben Kriterien gelten
wie bisher. Zahlen wurden nicht erwähnt. Aber selbst dieses
windelweiche Papier kam beim Gipfel nicht durch. Die Passage wurde
gestrichen und nur auf bekannte Klimaziele verwiesen. Nach Angaben
von Diplomaten wollten einige Staaten konkretere Formulierungen,
andere scheuten Festlegungen. Am Ende stand: sehr wenig.

Eine der Streitfragen: Müssen die östlichen EU-Staaten mehr tun - und
wie viel finanzielle Hilfe bekommen sie dafür? Bisher hatten ärmere
Länder geringere Vorgaben, weil sie wirtschaftlich aufholen sollen.
So muss Bulgarien nach derzeitigen Regeln bis 2030 gar keine
Treibhausgas-Minderung in den Sektoren erreichen, die nicht vom
Emissionshandel erfasst sind. Für Rumänien sind es minus 2 Prozent,
für Polen minus 7 Prozent im Vergleich zu 2005. Im EU-Schnitt sind es
hingegen für diese Sektoren bisher minus 30 Prozent, für Deutschland
minus 38 Prozent, für Luxemburg und Schweden sogar minus 40 Prozent.

Jetzt muss auch in diesen Branchen mehr CO2 eingespart werden. Aber
wird die Last auch zwischen den Ländern neu verteilt?
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte nach dem Gipfel, die
Wirtschaftskraft solle weiter Maßstab sein, das gebiete die Fairness.

Doch Klimaexperte Graichen argumentiert: «Der Abstand zwischen armen
und reichen EU-Ländern bei den geforderten Anstrengungen für den
Klimaschutz muss schrittweise verkleinert werden, weil alle bis 2050
klimaneutral werden sollen.» Widerstand ist programmiert. Polen gilt
als größter Bremser. EU-Diplomaten mutmaßen, dass sich das Land
zumindest weitere Hilfen für den Kohleausstieg sichern will, auch
wenn dafür bereits Geld aus Brüssel zugesagt ist.

Der zweite Knackpunkt: Soll der Emissionshandel künftig auch den
Verkehr und Gebäude erfassen? Das sei «eine konkrete Möglichkeit»,

sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans vor einigen Tagen. Das
könnte bedeuten, dass auch für den Verbrauch von Kraft- oder
Heizstoffen Verschmutzungsrechte benötigt würden, ähnlich wie für d
ie
Abgase aus Kraftwerken oder Fabriken. Hohe Kosten sollen Anreize
schaffen, in neue Technik zu investieren.

Deutschland hat das auf nationaler Ebene gerade eingeführt, und
Merkel lässt erkennen, dass sie die Ausweitung auf EU-Ebene
unterstützt. Die Grünen im Europaparlament warnen hingegen, ein
europäischer CO2-Preis beim Heizen oder Autofahren würde direkt
Verbraucher treffen. Ihr Argument: Besser Autobauern niedrigere
Abgaswerte vorschreiben als Autofahrern Kosten aufbürden.

Die EU-Kommission hat nun offenbar eine Art Mittelweg im Blick. Sie
erwägt einen CO2-Preis für Heizen und Kühlen in Gebäuden sowie fü
r
Straßenverkehr - dies präsentierte von der Leyen dem Gipfel. Es gehe
aber nicht um eine Ausweitung des bestehenden Emissionshandels ETS,
sondern um ein neues System, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Dieses
könnte in kleinen Schritten zusätzlich eingeführt werden. Soziale
Auswirkungen müssten mit Hilfe aus Brüssel abgefedert werden.

Ob sich die EU-Staaten damit anfreunden? Erstmal warten sie die
offiziellen Vorschläge der Kommission in knapp zwei Monaten ab. Im
Herbst dürfte der Streit dann in die heiße Phase gehen.